Adenauer und die Superhelden

Früher war alles besser – da hatten wir noch Politiker von Format. Die wussten was sie wollten und nahmen auch mal Gegenwind in Kauf. Die ließen sich nicht von den Märkten einschüchtern oder in Talkshows vorführen. Einen Adenauer, Brandt oder Schmidt – die bräuchten wir heute wieder!
Schon mal so gedacht? Gibt es heute immer weniger Leiter von Format? Wo sind alle die Adenauers, Brandts und Schmidts geblieben?
Der Animationsfilm „The Incredibles“ (Die Unglaublichen) handelt davon, wie eine Stadt immer wieder von einer ganzen Riege von „Superhelden“ gerettet wird, sich aber irgendwann gegen die Retter wendet. Sie werden aufgrund der Kollateralschäden ihrer Rettungsaktionen verklagt und in den Medien diskreditiert. Schließlich werden sie dazu gedrängt, ihren Superkräften abzuschwören und ein normales, mittelmäßiges, bürgerliches Leben zu führen – während die Stadt um sie herum hilflos im Chaos versinkt.
Ist das die Situation unserer Gesellschaft? Bankenkrise, Euro-Krise, Atom-Krise – haben wir die politischen Superhelden aus der kollektiven Erinnerung der Generation 55+ heute ins Mittelmaß abgedrängt? Würde Adenauer, Brandt und Schmidt in einem politischen Amt heute überhaupt noch so erfolgreich sein können, wie zu ihrer Zeit?
In seinem Beitrag im Harvard Business Review benennt Ron Ashkenas zwei Gründe, warum viele Leiter heute weniger kompetent, mutig und durchsetzungsstark erscheinen als früher. Warum es anscheinend weniger herausragende politische Führungspersönblichkeiten gibt. Warum Politik früher einen Brandt hervorgebracht hat und heute einen Berlusconi. Diese beiden Gründe sind:

  1. Die Komplexität der politischen Probleme und die Geschwindigkeit ihrer Entwicklung sind viel höher als früher. Globalisierung und Mediengesellschaft haben das politische Geschäft in einem Maß beschleunigt, dass nicht nur dem Normalbürger als „Politikbetroffenen“ Hören und Sehen vergeht – sondern auch den „Politikverursachern“. Adenauer, Brandt oder Schmidt – sie hätten heute viel weniger Zeit zum Nachdenken, Beraten und Abwägen als früher. Sie würden uns heute genauso überfordert erscheinen wie die heute aktiven Politiker.
  2. Heute beziehen Leiter mögliche Reaktionen von Anderen viel stärker in ihre Entscheidungen ein als früher. Wie wirke ich? Wen bringe ich gegen mich auf? Wie wirkt sich das auf meine Zustimmungswerte aus? Gegenwind gibt es, seit es Politik gibt – aber unsere mediale Vernetzung macht jedes Zögern, jede offene Frage und jede Unsicherheit in Sekundenschnelle sichtbar und ermöglicht allen anderen, sich sofort und gänzlich unabhängig von lästigen Details wie Sachkompetenz dazu zu äußern.

Das Leitmedium unserer Gesellschaft ist das Fernsehen – noch. Kein Wunder, dass Politiker damit beschäftigt sind, sich ins Bild zu setzen. Was nicht in 30 Sekunden Talk-Show griffig erklärt werden kann, findet keine Resonanz. Man kann sich fragen, ob und wie sich das verändert, je größer die Rolle der Interaktion durch das kommende Leitmedium Internet wird. Ist die Piratenpartei in Berlin eine Kapriole oder ein neues Kapitel in der Politik?
Im Film geht die Geschichte der „Incredibles“ so aus, dass die guten alten Superhelden irgendwann reaktiviert werden und die Stadt selbstlos aus der schwierigen Lage retten. Das wird mit Adenauer, Brandt und Schmidt nicht gehen. Wir werden neue Leiter für die neuen Herausforderungen finden müssen.
Aber: Ein bisschen mehr Brandt und ein bisschen weniger Berlusconi darf es schon sein…

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