Jesus und der Seitenwind

Sie belaueren ihn. Sie schicken Leute, um irrezuführen, zu manipulieren. Sie verfolgen eine versteckte Agenda. Von all dem ist an der Oberfläche nichts zu sehen, als eine Gruppe Pharisäer mit Jesus ins Gespräch kommt (berichtet wird diese Begegnung in Lukas 20):

Wir wissen, dass du aufrichtig redest und lehrst und achtest nicht das Ansehen der Menschen, sondern du lehrst den Weg Gottes recht (Vers 21).

Tolles Feedback! Wenn man nicht nur nach bestem Wissen und Gewissen handelt, sondern es scheinbar auch noch genauso integer bei den Leuten ankommt – ist dann nicht alles gut?
Nichts ist gut in der Motivation dieser Leute. Am Ende des Gesprächs steht:

Sie konnten ihn in seinen Worten nicht fangen […] und wunderten sich über seine Antwort und schwiegen still  (Vers 26).

Kein Einsehen, kein Umdenken, kein Hinterfragen, ob man da vielleicht doch die falschen Ziele verfolgt.
Danach kommen die nächsten in der Schlange dran, „einige der Sadduzäer“ – die Theologieprofessoren zur Zeit Jesu (Vers 27). Sie verwickeln ihn mit einer rein akademischen Fragestellung in eine theologische Diskussion. „Bist du einer von uns?“, fragen sie durch die Blume. „Siehst du die Dinge nicht auch so wie wir?“ „Ist unsere Überzeugung nicht auch deine Überzeugung?“
Jesus geht kurz auf die Frage ein und beantwortet ausführlich auch die Frage hinter der Frage, legt ihre versteckte Motivation offen. Das Resultat?

Da antworteten einige der Schriftgelehrten und sprachen: Meister, du hast recht geredet (Vers 39).

Einsicht bei Einigen. Immerhin.
Jesus gibt sich da richtig Mühe, wirbt um Einsicht. Beide Gruppen, Pharisäer wie Schriftgelehrte, Lebenswandel-Fromme wie Theorie-Theologen, gehen nicht ohne eigene Agenda, schräge Motive und teilweise feindseligen Absichten auf Jesus zu. Und doch bleibt er seinem Auftrag treu, Menschen zum Um-Denken, Um-Leben und ins Reich Gottes einzuladen. Sogar Theologen.
Es gibt viele Fragen aus dieser Begegnung, was man zum Weiterdenken in Erinnerung behalten kann: Was sind meine eigenen versteckten Motive? Was lasse ich mir von Jesus sagen?
Es ist aber auch die Frage: Lasse ich mich durch Kritik von meinem eigentlichen Auftrag ablenken?
Das Potential zur Ablenkung ist relativ leicht zu erkennen, wenn die Kritik in Form von Gegenwind auftritt, direkt von vorne, konfrontativ. Wenn die Macht- und Wahrheitsfrage offen auf dem Tisch liegt. Viel schwieriger finde ich den „Seitenwind“: Kritik, die sich hinter einer Fassade verbirgt. Die auf den ersten Blick schmeichelnd daherkommt. Die zunächst gut schmeckt und letztlich doch vergiftete Absichten birgt. Kritik, die nicht alles falsch findet, sondern nur um ein paar Grad Kurskorrektur bittet.
Jesus hat den Seitenwind der Pharisäer und Schriftgelehrten durchschaut. Und sich nicht von seinem Auftrag ablenken lassen, sondern trotzdem noch um ihre Einsicht geworben. Erst hinterher wird deutlich, wie ernst er die Situation eingeschätzt und wie klar er sie gesehen hat, als er seine Zuhörer warnt: „Hütet euch vor den Schriftgelehrten…“ (Vers 46).
Ich bin sehr dagegen, die Welt nach einem Freund-Feind-Schema einzuteilen und jede Kritik innerlich als Gegnerschaft zu verbuchen. Wer so denkt, isoliert sich selbst von vielen guten Impulsen zu einer notwendigen Kurskorrektur. Niemand außer Jesus ist Jesus – und niemand kann ohne Hilfe von außen innerlich auf einem guten Kurs bleiben.
Und doch möchte ich sensibel sein für das, was wirklich abgeht und auf dem Spiel steht, wenn er schmeichelnd daher kommt – der Seitenwind.

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