Gauchogate – die 10 Vorteile der Empörung

Es ist der Deutschen liebste Freizeitbeschäftigung. Nein, nicht Autowaschen. Ich meine das Aufregen. Die Entrüstung. Die Empörung.
Empörung über ein paar feiernde Fussballvorbilder. Gauchogate. Das Gute ist: Jeder kann mitmachen! Ganz privat oder ganz öffentlich, und auch veröffentlicht – als Medienschaffender.

Empörung ist für manche Lebensstil. Da freut man sich schon morgens früh darauf, sich bei der Arbeit mal so richtig aufzuregen. Über den Chef, die Firma, die Kollegen im Nachbarbüro. Und abends dann zur Après-Entrüstung in die Eckkneipe.
Ich verstehe das. Ja, wirklich – schliesslich hat Empörung eine Menge Vorteile:
1. Unbegrenzte Mobilität: Empörung geht überall.
2. Gemeinschaftserlebnis: Empörung verbindet im Kollegenkreis oder der Facebook-Gruppe.
3. Überlegenheit: Empörung macht deutlich, wer bei einem Thema die Deutungshoheit hat.
4. Keine Vorkenntnisse notwendig: Je weniger Hintergrundwissen, desto einfacher die Empörung.
5. Anstrengungsfrei: Wer sich empört, braucht selbst nichts Konstruktives zu tun. Man ist ja schon beschäftigt.
6. Profilbildung: Empörung zeigt, dass man eigene moralische Überzeugungen hat – ohne dass man sich auch nur für eine davon der Kritik auszusetzen braucht.
7. Zukunftssicherheit: Solange andere Menschen auf unserer Welt etwas bewegen und riskieren, wird dir nie der Stoff zur Empörung ausgehen.
8. Weltanschauliche Kompatibilität: Empörung lässt sich hervorragend auch in einer Kirchengemeinde oder im Umweltschutzverein ausüben.
9. Anerkennung: Empörer gewinnen sofort und mühelos die Anerkennung anderer Empörer. Der Feind meines Feindes muss doch wohl mein Freund sein.
10. Aufmerksamkeit: Die meisten Menschen reagieren auf Empörung mit Aufmerksamkeit und Beschwichtigung. Bis Kollegen, Nachbarn oder der Chef endlich realisiert haben, dass beides völlige Zeitverschwendung ist, kannst du es in Ruhe geniessen, im Mittelpunkt zu stehen.
Habe ich schon gesagt, dass ich Empörung, Entrüstung und wichtigtuerische Aufgeregtheit verabscheue?
Mir sind Leute 100-mal lieber, die etwas Konstruktives unternehmen, die sich riskieren, die Fehler machen und sich Kritik aussetzen – als die, die sich über ihre Empörung definieren.
Empörte aller Länder – ihr verschwendet bloß eure Zeit. Wenn wir einmal vor unserem Schöpfer Rechenschaft ablegen werden, was wir mit Zeit, Energie und Begabungen angefangen haben, wird es für die Antwort „Ich habe mich empört“ ziemlich sicher null Punkte geben.
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0 Antwort
  1. K.

    Nun, was mich speziell stört ist nicht die Kritik am Tanz, auch wenn ich mich jetzt oute. Wenn man nicht weiß, dass dieser Tanz ein Ritual ist, konnte man erschrecken. Ich bin ehrlich. Ich bin auch erschrocken. Das wurde ja dann aber schnell aufgeklärt. Was mich stört, sind die tagelangen hohen Empörungswellen nach einer solchen Meldung. Es ist so, als gäbe es gerade nicht den Krieg in Israel und Krisenherde an anderen Orten, hungernde Kinder im In- und Ausland und andere dringende Themen. Diese Art von „Medienwellen“ und in welche Höhen sie sich aufschaukeln – das erschreckt mich immer wieder.

  2. Hallo Jörg,

    Habe ich schon gesagt, dass ich Empörung, Entrüstung und wichtigtuerische Aufgeregtheit verabscheue?

    Ich bin ganz bei dir, wenn du es ablehnst, wenn sich Menschen über ihre Empörung definieren und verwirklichen. Das kann sehr anstrengend werden. Allerdings: als einer, der sich bei Gauchogate ein klein wenig mitempört hat würde ich sagen: Wir sollten vielleicht nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Unliebsame Kritik kann sehr schnell mit einem „Komm, bleib mal locker!“ weggewischt werden. Das Ziel erreicht man damit so gut wie immer: den anderen als übertrieben aufgeregt und deshalb nicht so ganz ernst zu nehmen zu etikettieren. Eine Debatte auf Augenhöhe ist so nicht möglich.
    In vielen Teilen der Gesellschaft – nicht zuletzt in Kirchen und Gemeinden – fehlt uns aber so eine Diskussionskultur, in der die Bedenken Andersdenkender ernst genommen werden und in die Entscheidungsfindung einfließen. An anderen Stellen wird genau das übertrieben und die Rücksicht auf alles und jeden bewirkt de facto einen Stillstand. Beides nicht gut. Aber ich habe das Gefühl, wir fallen tendenziell auf der ersten Seiten vom Pferd.
    Im Gauchogate waren es bei diversen Umfragen immerhin ungefähr 30%, die den Tanz als nicht gut empfanden. In der Frage, wie der Tanz auf sie persönlich wirkte, sind sie exzellente Experten. Und um die Wirkung des Tanzes ging es ja.
    Deshalb: Ich finde es immer wichtig, Kritik zu hören und nicht abzuwerten – schon gar nicht zu „verabscheuen“. Kritik ist wertvoll, damit wir die richtigen Entscheidungen treffen, Kritik ist kostenlose Beratung, wie es so schön heißt. Und irgendwas ist meistens dran, vor allem, wenn mehrere Leute so empfinden.
    LG,
    Rolf

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