Fromme Sucht

Eine Sucht ist die Jagd nach einer Befriedigung, die mich nicht wirklich erfüllt. Kann man eigentlich nach geistlichen Dingen süchtig werden? Kann man so abhängig werden von frommen Formen, theologischen Themen oder geistlicher Gemeinschaft, dass wesentliche Teile der eigenen Persönlichkeit vernachlässigt werden?
Darf man überhaupt so fragen? Lehrt nicht das Neue Testament, dass alle wahren Nachfolger Christi sich selbst verleugnen (Lukas 9,23), ohne Pause beten (1. Thessalonicher 5,17) und ihre Versammlungen nicht verlassen (Hebräer 10,25)?
Solche Dinge wie Gebet oder Gemeinschaft sind von Gott als Hilfe für das neue Leben seiner Kinder gedacht: Sie sollten uns stützen, um an der Beziehung zu Gott dranzubleiben – selbst dann, wenn wir uns innerlich leer fühlen oder schwach oder ausgebrannt. Aber wir machen manchmal aus der Stütze eine Statue, aus der Gehhilfe einen Kultgegenstand. Fast unmerklich driftet Gott aus dem Mittelpunkt meines Lebens, fast unmerklich werden Gottesdienst, „Stille Zeit“ oder Bibelstunde zur leeren Hülle, fast unmerklich wird das Gute zum Feind des Besten.
Was Gott wirklich für seine Kinder will, formuliert Paulus einmal so: „[Wir können] die Herrlichkeit des Herrn wie in einem Spiegel sehen […] und der Geist des Herrn wirkt in uns, sodass wir ihm immer ähnlicher werden und immer stärker seine Herrlichkeit widerspiegeln.“ (2. Korinther 3,18)
Das ist die Wachstumsrichtung des neuen Lebens, das jeder Christ von Gott eingepflanzt bekommen hat. Dazu schenkt Gott Wachstumsförderung durch Gebet, Bibellesen und christliche Gemeinschaft. Diese Dinge sind Gott wichtig – aber sie sind niemals Selbstzweck. Die Abhängigkeit von äußeren Formen kann Wachstum hindern – die Abhängigkeit von Gott selber niemals.
Pflanzen streben immer nach dem Licht – und nicht nach der Gießkanne oder der Packung mit dem Düngemittel. Genauso ist es mit meinem Wachstum als Kind Gottes: Je stärker ich die Begegnung mit Gott, dem Licht meines Lebens suche und seine Herrlichkeit widerspiegele, desto mehr wird meine eigene Persönlichkeit entfaltet, desto mehr lebe ich in meiner tatsächlichen Bestimmung. Es gibt nichts Erfüllenderes.
Wie viel bleibt von meinem Glauben eigentlich übrig, wenn ich alle äußeren Formen einmal wegdenke?

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  1. Irgendwie regt sich hier in mir der Widerspruch! Gemeinschaft als Form? Gemeinschaft sehe ich als das Leben Christi in seiner Gemeinde. Und Gebet und Gottes Wort sehe ich auch nicht als „Düngemittel“, sondern als die gelebte Beziehung mit meinem Herrn! Wie sonst soll ich die Begegnung mit ihm suchen, als indem er mit mir spricht und ich mit ihm? Wo scheint mir seine Herrlichkeit mehr entgegen als in seinem Evangelium? Oder reden wir von verschiedenen Dingen?

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