Warum „neu“ zu oft „schlecht“ ist

Heute hat sich Spiegel Online-Autor Sascha Lobo in seiner Kolumne ausführlich über die Probleme des Volkswagenkonzerns ausgelassen. Wie bei einem Netzaktivisten wie Lobo zu erwarten war, zieht er seinen Denkhorizont weit über die Diesel-Abgas-Affäre hinaus. Seine Kernthese: VW ist wie Deutschland, und an VW kann man sehen, wie sich alte industrielle Stärken in einer neuen digitalen Wirtschaft zügig und zuverlässig in Schwächen verwandeln.

Lobo benennt dabei insbesondere Perfektionismus, Innovation als Detailverbesserung, Hierarchie, Langsamkeit statt Beharrlichkeit, Bodenständigkeit der anfassbaren Dinge. Man kann es auch kürzer sagen: Der Exportweltmeister Deutschland kann Hardware, aber angesagt ist zunehmend Software.

Auch wenn einer wie Sascha Lobo da zunächst einmal sein persönliches Thema beackert, muss uns schon zu denken geben, dass das Land der Ingenieure bisher keine vergleichsweise prägende Rolle in der Welt der Digitalisierung und der Softwareplattformen einnehmen konnte.

An einem Satz von Lobo bin ich besonders hängen geblieben, und er gilt – so glaube ich – nicht nur für die wirtschaftliche Entwicklung, sondern beschreibt ganz gut eine grundlegende Mentalität hierzulande:

Ingenieursdeutschland funktioniert und hat zu funktionieren … Die verbreitete Skepsis gegenüber Neuem ist darin begründet, denn das Neue kommt ohne Funktionsgarantie.

Ja, in Deutschland funktioniert vieles, was in anderen Weltgegenden nicht so gut funktioniert (unterirdische Bahnhöfe und Hauptstadtflughäfen vielleicht einmal ausgenommen). Bei allem Verbesserungspotential im Einzelnen können sich Deutsche im Alltag doch im wesentlichen darauf verlassen, dass man einen Arzt aufsuchen kann, die Polizei unbestechlich ist und keine mehrstöckigen Gebäude wegen Pfusch am Bau einstürzen.

Aber: Dieses „Funktionieren“, um die uns die halbe Welt beneidet, ist auch unser Götze. Und alles, was „Neu“ daherkommt, muss erst mal beweisen, dass es tatsächlich besser funktioniert als das alte. Und das ist bei allem Erfolg der Vergangenheit als Exportnation tatsächlich eine Hypothek für die Zukunft. Wie soll sich etwas in der Praxis beweisen, dem man die Existenzberechtigung schon auf dem Reißbrett erst einmal abspricht?

In Deutschland ist „neu“ einfach zu oft „schlecht“. Es braucht Männer und Frauen, die sich davon nicht beeindrucken lassen, sondern dem Neuen eine Chance erkämpfen, sei es in der Verwaltung, im mittelständischen Betrieb, in der Kirchengemeinde.

Und, wenn alles gut läuft, sogar bei VW.

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