Geht alles den Bach runter?

Neulich habe ich von einem christlichen Prediger gelesen, der sich darüber beklagte, dass alles den Bach runterginge. Und zwar mit einer bemerkenswerten Argumentation.
Sein Gedankenexperiment lautete wie folgt: Stellen wir uns einen Christen aus einer gläubigen Mainstream-Gemeinde vor, der 1976 eingefroren und heute wieder aufgetaut wird. Er würde sich in der heutigen Gemeindekultur doch gar nicht mehr zurecht finden, mit ihrer komischen Musik, ihren komischen Veranstaltungen, ihren komischen Büchern, ihrem komischen Predigtstil usw. Oder? Und jetzt kommt die Pointe: Weil sich dieser fiktive Mensch heute nicht mehr zurecht finden sondern an unserer Zeit irre werden würde, deshalb müssen sich die Christen ja wohl ganz offensichtlich auf Abwegen befinden. Ist dieses Gedankenexperiment nicht ein untrügliches Zeichen dafür, dass alles den Bach runter geht?
Diese Argumentation halte ich für einen bemerkenswerten Zirkelschluss. Natürlich ist es so, dass jemand der von 1976 direkt nach 2016 springen könnte, sich heute nur mit Mühe zurecht finden würde. Aber das gilt (a) nicht nur für die christliche Subkultur, sondern für die ganze Gesellschaft, von der Arbeitsverdichtung im Job über die öffentliche Rolle des Umweltschutzes bis hin zur Abschaffung des grauen Telefons der Deutschen Bundespost. Und (b) wäre das nicht anders bei einem Zeitsprung von 1936 nach 1976. Oder von 1776 nach 1816. Entwicklung, Veränderung, Neuorientierug – das ist einfach das Leben. Wer aus einem solchen Gedankenexperiment meint ableiten zu können, dass offensichtlich alles den Bach runtergeht, der ist bereits bei diesem Narrativ gestartet. Das „alles den Bach runtergeht“, ist dann das Raster, in das alle Veränderungen, Erlebnisse und Probleme einsortiert werden. Und jedes neue Stück im Setzkasten des angeblich unausweichlichen Pessimismus ist ein scheinbarer Beweis seiner Plausibilität.
Darf ich es ganz deutlich sagen? Dieses Denken ist Unfug. Es zeugt nicht nur von einer erstarrten Unfähigkeit und Unwilligkeit, Leben als Veränderung zu begreifen, sondern es mauert Menschen ein in einer fiktiven, verklärten Vergangenheit. Nichts anders tun Populisten wie Le Pen in Frankreich, Trump in den USA oder Farage in Großbritannien. Man muss diesen Leuten entgegenschleudern: Nein, früher war nicht alles besser! Und nein, selbst wenn wir wollten – „früher“ kommt auch nicht wieder! Denn Leben geht nur im Vorwärtsgang. Deshalb können wir Veränderungen nur nach vorne gestalten, Probleme nur nach vorne lösen, Hoffnung nur nach vorne entwickeln.
Wo sind wir Christen in dieser Diskussion? Stimmen wir ein in das hoffnungslose Narrativ, das „alles den Bach runtergeht“ (und geben diesem Denken noch den theologischen Ritterschlag von der „nahenden Endzeit“)? Oder leisten wir Widerstand und spenden das, was die Menschen unserer Zeit mehr brauchen als alles andere: Hoffnung?
Klar, Christen sollten Mißstände klar benennen und nicht die nette fromme Decke über Dinge breiten, die nicht in Ordnung sind. Aber so wie ich das sehe, hat Christus seinen Nachfolgern einen übernatürlichen Schatz anvertraut, nämlich die Hoffnung dass das menschlich Machbare, Sichtbare und Erwartbare nicht das letzte Wort hat. Sondern dass er selbst, Christus, in der Kraft seines unzerstörbaren Lebens Menschen verändert, Geschichte schreibt und sein neues Reich baut, auch mitten in einer Welt, die mit großen Schwierigkeiten kämpft.
Wenn Christus seinen Christen diese Hoffnung anvertraut hat, und Christen dann auch noch einstimmen in ein „Alles geht den Bach runter“-Narrativ – dann verleugnen sie nicht nur ihren Schatz. Sondern enthalten ihn auch all den Menschen vor, die ihn aus sich selbst heraus nicht haben können, weil sie Christus nicht kennen. Der Buchautor und ZDF-Journalist Peter Hahne hat Christen und christliche Gemeinden einmal als GmbH bezeichnet, als „Gemeinschaft mit begründeter Hoffnung“. Der Mann hat recht. Wo Christus ist, ist Startup-Atmosphäre angesagt und nicht Konkursverwaltung.
Vielleicht ist das der allerwichtigste Beitrag zur hyperhysterischen gesellschaftlichen Diskussion, den Christen und christliche Kirchen, Gemeinden und Organisationen in diesen Tagen leisten können: Leute, glaubt nicht denen, die euch eine goldene Vergangenheit in den Mauern eines fiktiven Gestern versprechen! Es gibt wirklich Hoffnung! Wir wissen es, denn wir sind Christus begegnet.

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