Gute oder schlechte Predigt?

Als Mitarbeiter einer christlichen Organisation und meiner Gemeinde habe ich gelernt, mit einer Überdosis Verkündigung zu leben. Geistliche Impulse, Andachten, Predigten… wir produzieren sie, wir senden sie, wir hören sie, wir lesen sie, wir twittern sie. Gottes Wort, in Menschenhand, im Überfluss. Und immer durch das Sprachzentrum (oder Schreibzentrum) eines Menschen hindurch, der seinen Job meistens sehr gewissenhaft und leidenschaftlich macht – nämlich das was Gott vor vielen Jahrhunderten in Menschenworte eingepackt hat, wieder für die Zuhörer bzw. Leser auszupacken.
Mit wechselhaftem Erfolg: Manche Predigten inspirieren, ermutigen, überführen und betreffen ganz persönlich, lassen einen über Wochen nicht los. Da hat wirklich ein weitaus Größerer in mein Leben hineingesprochen als der (oder die) Verkündigende. Und es gibt es das Gegenteil: Wirkungslose Andachten, theologisch fundiert, rhetorisch ordentlich,eigentlich alles richtig gemacht – und doch in der Wirkung blutleer.
Woran liegt das?
Natürlich, das Reden Gottes durch Menschenwort oder Menschenhand lässt sich nicht erzwingen, nicht programmieren. Natürlich, es ist der Geist Gottes selbst, der reden muss, sonst bleiben nur menschliche Vorstellungen und Appelle. Natürlich, es liegt immer auch an der Offenheit des Hörer, es ist nicht immer der richtige Zeitpunkt, nicht jeden geht jedes Thema gleichermaßen an…
Natürlich. Wenn Gott durch Menschen handelt, kombiniert er immer Inspiration und Transpiration – göttliche Vollmacht und menschliche Absicht. Und doch: Der der verkündigt, kann es vermasseln. Es gibt ganz objektiv gute und schlechte Predigten.
Es gibt viele Faktoren, die die Wirksamkeit einer Predigt auf der „menschlichen Seite“ von Vornherein einschränken können. Über viele davon kann man in Büchern nachlesen. Über ein Unterscheidungsmerkmal guter von schlechten Predigten habe ich bisher aber noch nicht viel gelesen – und über ihn denke ich in letzter Zeit öfter nach. Sowohl beim Andacht- und Predigthören, als auch beim Selber-Andenken-und-Predigen. Es ist ganz einfach, und auch Laien in Homiletik (so nennt man die Lehre vom Predigen, wenn man es schick ausdrücken will) können beim Hören einer Predigt schnell ein Gefühl dafür bekommen. Ich nenne diesen Unterschied „Predigten von innen bzw. „Predigten von außen“.
Eine „Predigt von außen“ ist wie eine Laborvorlesung an der Uni. Der Professor hält den zu untersuchenden Gegenstand in der Hand, die Studenten stehen um ihn herum und hören zu. Er dreht und wendet ihn nach allen Seiten, weist auf Besonderheiten hin, setzt seine Analyseinstrumente ein und beginnt mit den Zuhörern ein Gespräch über die Eigenschaften, Gesetzmäßigkeiten und Einsatzmöglichkeiten des Gegenstands. Genau so ist eine „Predigt von außen“: Gemeinsam schaut man sich einen Bibeltext an, der Verkündiger dreht und wendet ihn nach allen Seiten (mindestens jedoch nach drei Seiten, die alle mit dem gleichen Anfangsbuchstaben beginnen). Hinterher wissen alle Zuhörer deutlich mehr über den Gegenstand. Und – wenn es gut läuft – sogar, wofür sie ihn selbst verwenden können.
Eine „Predigt von innen“ ist dagegen wie ein Innenarchitekt, der die Besitzer eines neu gebauten Hauses in ihre Räumlichkeiten hinein und umherführt. Auch er erklärt Dinge, weist auf Besonderheiten hin, setzt sein Fachwissen ein. Aber er ist mit den Zuhörern zusammen in dem Raum, über den er redet. Genau so ist eine „Predigt von innen“: Der Bibeltext ist kein „Etwas“, das man gemeinsam hin und herwendet und hinterher 80% von dem weiß, was es über diesen Text zu wissen gibt. Der Bibeltext ist wie ein Raum, in den der Verkündiger mit seinen Zuhörern hineingeht. In dem er ihnen die Augen öffnet, für das was in ihrem Leben längst ist (und was sie nur nicht gesehen haben). Und für das, was sein könnte. Ist bei der „Predigt von außen“ die Anwendung im Alltag der „letzte Punkt“, das typische „und was heißt das jetzt für uns“, so sind Verkündiger und Zuhörer bei der „Predigt von innen“ die ganze Zeit über beim „uns“. Beim Alltag. Bei der Bedeutsamkeit. Niemand der sich sein neues Haus anschaut, muss sich bewusst fragen, wozu er sich das jetzt anschauen soll.
Kleine Herausforderung an alle, die Andachten oder Predigten hören: Achte beim nächsten Mal darauf, ob du eine Innen- oder eine Außenpredigt hörst.
Größere Herausforderung an alle, die Andachten oder Predigten halten: Halte bewusst eine „Innen-Predigt“, falls du es nicht ohnehin schon tust. Und dann schau, was Gott bei deinen Zuhörern daraus macht…

0 Antwort
  1. Wolfgang Klimm

    Vielen Dank für Deine guten Einsichten in Sachen guter Predigt.
    Tröstlich dabei ist für mich immer, dass Gott auch durch einen Esel gesprochen hat…
    Interessant wäre parallel zu überlegen, was einen guten Hörer auszeichnet.
    Und dann die beiden zusammenzubringen: jemanden, der gut predigt und jemanden der gut hört. Bingo!

  2. Wolfgang Klimm

    Vielen Dank für Deine guten Einsichten in Sachen guter Predigt.
    Tröstlich dabei ist für mich immer, dass Gott auch durch einen Esel gesprochen hat…
    Interessant wäre parallel zu überlegen, was einen guten Hörer auszeichnet.
    Und dann die beiden zusammenzubringen: jemanden, der gut predigt und jemanden der gut hört. Bingo!

  3. Marcel

    @pixelpastor: Aber Wolfgang hat schon irgendwo Recht: Was nützt letztlich eine Superpredigt, wenn keiner wirklich zuhört, sich keiner mit auf die Reise durch meine Gedanken (das „Haus“) nehmen lässt ?
    Auf der anderen Seite: Gott kann eben auch durch die langweiligste Predigt noch sprechen!
    Und auf der „dritten“ Seite: auch du hast Recht: menschliche Faktoren spielen genauso eine Rolle und können eine Predigt verhunzen oder „besser machen“.
    Und doch kann Gott über alle menschliche Faktoren hinaus wirken, quasi darüber hinweggehen. Das finde ich immer wieder faszinierend an Ihm.
    P.S.: Vielleicht sind meine Gedanken jetzt ein wenig verwirrend, aber ich hoffe es wird einigermaßen verstanden, was ich meine…

    1. @Marcel: Mit „Haus“ meine ich nicht unbedingt die eigenen Gedanken des Predigers, sondern vielmehr das gemeinsame alltägliche Lebensumfeld von Hörer und Prediger. Dorthinein muss ich einen Hörer nicht mitnehmen, denn dort ist er schon! Ob der Hörer seinem Namen gerecht wird und wirklich zuhört – das ist natürlich noch eine andere Frage.

  4. Marcel

    @pixelpastor: Aber Wolfgang hat schon irgendwo Recht: Was nützt letztlich eine Superpredigt, wenn keiner wirklich zuhört, sich keiner mit auf die Reise durch meine Gedanken (das „Haus“) nehmen lässt ?
    Auf der anderen Seite: Gott kann eben auch durch die langweiligste Predigt noch sprechen!
    Und auf der „dritten“ Seite: auch du hast Recht: menschliche Faktoren spielen genauso eine Rolle und können eine Predigt verhunzen oder „besser machen“.
    Und doch kann Gott über alle menschliche Faktoren hinaus wirken, quasi darüber hinweggehen. Das finde ich immer wieder faszinierend an Ihm.
    P.S.: Vielleicht sind meine Gedanken jetzt ein wenig verwirrend, aber ich hoffe es wird einigermaßen verstanden, was ich meine…

    1. @Marcel: Mit „Haus“ meine ich nicht unbedingt die eigenen Gedanken des Predigers, sondern vielmehr das gemeinsame alltägliche Lebensumfeld von Hörer und Prediger. Dorthinein muss ich einen Hörer nicht mitnehmen, denn dort ist er schon! Ob der Hörer seinem Namen gerecht wird und wirklich zuhört – das ist natürlich noch eine andere Frage.

  5. Heike

    < Klasse beschrieben. Quasi "der Fielmann", der den Zuhörern Klarsicht anbietet.
    zum Punkt Zuhörer: wir können predigen, bis die Wände bluten – was daraus wird oder werden kann, ist eben dann doch wie die Saat, die ausgestreut wird! Wir streuen, Gott läßt wachsen. Wenn ich z.B. von einer Predigt nicht angesprochen werde, ziehe ich doch oftmals aus dem Lobpreis etwas heraus. Voraussetzung dafür ist, daß ich mein Herz offen halte. Wäre eine gute Einstiegssituation, vor der Predigt, Gott zu bitten, Er möge unsere Herzen aufschließen. Auch das Herz des Predigers – logisch.
    Segen!

  6. Heike

    < Klasse beschrieben. Quasi "der Fielmann", der den Zuhörern Klarsicht anbietet.
    zum Punkt Zuhörer: wir können predigen, bis die Wände bluten – was daraus wird oder werden kann, ist eben dann doch wie die Saat, die ausgestreut wird! Wir streuen, Gott läßt wachsen. Wenn ich z.B. von einer Predigt nicht angesprochen werde, ziehe ich doch oftmals aus dem Lobpreis etwas heraus. Voraussetzung dafür ist, daß ich mein Herz offen halte. Wäre eine gute Einstiegssituation, vor der Predigt, Gott zu bitten, Er möge unsere Herzen aufschließen. Auch das Herz des Predigers – logisch.
    Segen!

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