Raus aus dem Boot

„Arbeite, als ob alles Beten nichts nützt – und bete, als ob alles Arbeiten nichts nützt“ – dieser Satz wird oft zitiert, Martin Luther hat ihn mal gesagt.
Ich finde ihn trotzdem falsch. Denn er trennt zwei Dinge voneinander, die eigentlich zusammen gehören.
In Matthäus 14 finden wir den Bericht, wie Jesus seine Freunde losschickt, in einem Boot über den See Genezaret ans gegenüberliegende Ufer zu fahren. „Fahrt ihr schon mal voraus, ich bleiben noch allein zurück um zu beten“. Saubere Arbeitsteilung – die einen rudern, der andere betet. Ich finde diese Szene symptomatisch für viele christlichen Projekte und fromme Betriebssamkeit: Jesus macht sein Ding, seine Freunde ihrs.
Aber wirklich gut geht es ihnen nicht damit: Matthäus berichtet, dass sie gegen Abend aufbrechen – und nach drei Nachtwachen immer noch gegen Wind und Wellen ankämpfen. Das sind neun Stunden Abrackern, neun Stunden Kampf, neuen Stunden Anstrengung um an den Ort zu kommen, wohin Jesus sie geschickt hat.
Im Auftrag Jesu unterwegs – aber doch nur von rein menschlichen Möglichkeiten angetrieben.
Ich stelle mir vor, wie sie anfangen zu diskutieren in ihrem Boot: „Warum haben wir Gegenwind? Warum ist das so anstrengend? Warum geht das nicht schneller? Sind wir nicht im Auftrag des Herrn unterwegs? Hat er uns nicht geschickt?“ Und ich vermute, dass sie trotzig beschließen: „Wir sind nur eine kleine Herde mit kleiner Kraft, aber lasst uns jetzt treu bleiben koste es uns an Kraft was es wolle…“
Dann – nach über neun Stunden – greift Jesus ein. „Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen…“. Prima, endlich! Da haben sie sich doch bestimmt sehr gefreut? Man kann jedes Paar Ruder gut gebrauchen bei so einem Gegenwind. Endlich kommt Jesus, um mitzuhelfen.
Aber Jesus kommt nicht um zu Rudern. Jesus geht zu Fuß auf dem Wasser. Die Jünger waren schon einiges gewohnt – am Tag zuvor waren sie Augenzeugen und Helfershelfer bei der übernatürlichen Versorgung von 5000 Männern zuzüglich Frauen und Kindern mit nur fünf Broten und zwei Fischen. Jeder von ihnen hatte einen Korb Essensreste geschleppt. Jesus kann Wunder – klar!
Und doch berichtet Matthäus, dass die Freunde von Jesus vor Furcht schreien, als sie ihn sehen. Jesus zu Fuß auf dem See – das passt nicht in ihr Denkraster. Wenn Gott in unsere menschliche Möglichkeiten eingreift, wird unser Denkraster gesprengt. Anscheinend selbst dann, wenn am Tag vorher eine ganze Kleinstadt auf übernatürliche Art und Weise satt geworden ist.
Wovor habe ich Angst, wenn Gott eingreift und sich in meine menschlichen Möglichkeiten einmischt? Vielleicht schreie ich nicht vor Furcht – aber kenne ich nicht zumindest Angst, Ablehnung… ein gewisses Bedürfnis nach Abstand?
Suche ich nicht Abstand, wenn Gott mich mit einer Berufung konfrontiert, die für meinen Lebenslauf unzumutbar ist?
Suche ich nicht Abstand, wenn Gott mich mit übernatürlichen Dingen konfrontiert, die sich meiner Kontrolle entziehen?
Suche ich nicht Abstand, wenn Gott mich dazu herausfordert, einer unbequemen Wahrheit über mich selbst ins Auge zu sehen?
Dieser Wunsch nach Abstand, dieser Sicherheitsabstand – er macht aus der Nachfolge Jesu eine Art „Beschattung“. Wir wollen ihn nicht verlieren, aber lieber nicht zu dicht auffahren. Lieber nicht zu konkret beten, lieber nicht zu konkret hoffen, lieber schon vorher relativieren, was von Gottes Eingreifen zu erwarten ist.
Ich glaube, unser Wunsch nach Abstand ist normal, menschlich, verständlich. Jesus weiß das. Und er ist heute so barmherzig mit uns wie mit seinen Freunden damals: „Sogleich redet er mit ihnen: Ich bin‘s… Fürchtet euch nicht…“. Aber Jesus spricht ihnen nicht nur Mut zu – er fordert sie auch heraus, einen ersten Schritt zu gehen.
Einen ersten Schritt aus unserem Denkraster heraus. Ein Schritt den Abstand zu Jesus verkürzen. Ein Schritt aus dem Boot.
Wer tut den Schritt? Na klar – Petrus, der mutige, dickköpfige, schnelle, voreilige Anführer der Jünger. Es hält ihn nicht stundenlang auf den Wellen, er beginnt doch zu zweifeln, geht irgendwann unter. Sein Denkraster der menschlichen Möglichkeiten behält noch die Oberhand – aber immerhin lässt er sich auf einen ersten Schritt ein. Ein Schritt hinaus aus dem Boot.
Ich frage mich: Wo rudere ich aus eigener Kraft? Wo lädt mich Jesus ein, einen Schritt aus dem Boot herauszutreten, einen Schritt den Abstand zu ihm zu verkürzen, einen Schritt aus meinen menschlichen begrenzten Möglichkeiten herauszutreten und mich auf die Wirklichkeit Gottes einzulassen?

0 Antwort
  1. Abstand zu Gott, wenn er zu sehr in das eingreift, was wir uns so schön her gerichtet haben, ist in der Tat Menschlich. Und es ist auch dumm. Als Kinder wissen wir, dass es unser Vater gut mit uns meint. Als erwachsene Kinder um so mehr. Betrachten wir unser Leben, stellen wir immer wieder fest wie ungenügend wir uns selbst sehen. Wir wissen doch um unsere Macken. Kennen den Druck es immer wieder zu tun, was wir nicht wollen. Dann bitten wir „Herr, mach mich stark, ich will doch das gar nicht tun“. Wie oft scheinen diese Hilferufe im Nichts zu verhallen?
    Bei Gott geht aber nichts verloren. Niemals nie gar nicht jemals in alle ewigen Ewigkeiten. Es muss etwas anderes sein – denn Petrus ging selbst in der unmittelbaren Nähe zu Jesus unter. Hat es denn wirklich was damit zu tun, wie wir denken? Jesus ist nichts unmöglich, wenn Jesus also zuließ, dass Petrus sinkt, was ist dann die Ursache? Hat Jesus es zugelassen oder hat Petrus was falsch gemacht? Und wenn ja, was war es? Wirklich der mangelnde Glaube? Wenn das so ist, dann müsste jeder, der nur genug glaubt auf dem Wasser gehen oder kann sich einen Pizzakarton in die Küche stellen, der niemals leer wird.
    Ich kann mich mit diesen Antworten noch nicht zufrieden geben. Denn wenn ich den Glauben so definiere befinde ich mich schon im mystischen Bereich. Was immer auch damals passiert ist, es sind Wunder Gottes, die unabhängig von unserem Glauben geschehen sind. Gott wollte es so, also ist es so geschehen. Und nicht weil die jünger „mächtig dolle geglaubt“ hätten.
    Für alle die den Abstand zu Gott anstatt seine nähe vorziehen, empfehle ich darauf zu verzichten. Kinder wollen Geborgenheit, Zärtlichkeit und die warme Hand ihr Eltern spüren. Das geht nur, wenn man ganz dicht beieinander ist. Mit unserem himmlischen Vater ist das nicht anders. Ich will keinen Abstand. Nie nicht.
    Frank

  2. „Arbeite, als ob alles Beten nichts nützt – und bete, als ob alles Arbeiten nichts nützt“.
    Da Luther diese beiden Tätigkeiten durch „und“ verbindet, trennt er sie gerade nicht. Er sagt nur etwas über die jeweilige Intensität aus: Beides mit vollem Einsatz, nach besten Kräften, nicht auf gegenseitige Kosten, das eine zugunsten des anderen, abgeschwächt.
    Und da hat er Recht!
    Was Mt 14 betrifft, war es eine weitere messianische Selbstoffenbarung, die die Jünger zur Anbetung und zu der Überzeugung brachten: „Du bist wahrlich Gottes Sohn!“

    1. pixelpastor

      @Christian: Luther hat das nicht getrennt – aber mein Eindruck ist, dass wir es oft tun und uns dabei auch noch auf Luther berufen.
      Was die messianische Selbstoffenbarung angeht – interessant, dass das Gehen-auf-dem-Wasser für diese Antwort der Jünger noch nicht reicht, erst das Eingreifen Jesu in ihrer Nähe (und das ist das, worauf ich hinauswollte…)

Schreibe einen Kommentar