Was Evangelikale weltweit wirklich denken

Schwulenfeindlich sollen sie sein, gesellschaftlich rückwärtsgewandt, gegen die Evolution zu Felde ziehen, sie suchen politischen Einfluß hinter den Kulissen – ach ja, und unter dem Deckmantel der Mission beuten sie arme Länder aus und leben dabei selbst im Luxus. Sind sie nicht so – die „Evangelikalen“? Und jeder kennt einen, der einen kennt, der das irgendwie schon mal mitgekriegt hat oder mal was in der Richtung bei 3sat aufgeschnappt hat.
Vorurteile erzeugen schnell Emotionen – mit der Realität haben sie oft weniger zu tun. Aber mancher will seine Vorurteile ja vielleicht auch gar nicht in Frage stellen.
Für alle anderen dürfte der 120 Seiten starke Bericht interessant sein, den die Meinungsforscher des amerikanischen Pew Research Center in Washington jüngst herausgegeben haben. Er ist das Ergebnis einer Datenerhebung nach dem III. Lausanne-Kongress in Kapstadt unter weltweit 2.000 christlichen Leitern – alles Leute, die sich selbst in irgendeiner Form als evangelikal verstehen oder bezeichnen.
Und wer es zulässt, dürfte über manche Fakten überrascht sein, die das bestehende Bild von „Evangelikalen“ in Frage stellen – wenn man es denn wahrhaben will:

  • 50% sind überzeugt, die Bibel müsse absolut wörtlich verstanden werden – 48% sehen das anders
  • 47% sehen eine Gefährdung durch den Islam – aber 67% in einer Überbetonung des Konsums
  • 92% der evangelikalen Leiter haben eine hohe Meinung von Christen aus pfingstkirchlicher Tradition
  • 42% aus der südlichen Hemisphäte glauben, die USA und Europa hätten zuviel Einfluß auf die Weltchristenheit – im Norden selbst sind es 47%
  • In Sachen Evolution gehen die Meinungen weit auseinander: 47% glauben an eine Schöpfung, 44% halten die Evolutionstheorie für stichhaltig
  • 76% der evangelikalen Leiter haben bei sich oder anderen eine übernatürliche Heilung erlebt
  • Nur 7% sind überzeugt, dass Gott Wohlstand und Gesundheit schenkt, wenn man nur richtig glaubt
  • Nur 12% halten es für vorrangig, Missionare in andere Länder zu entsenden. 86% setzen auf die Unterstützung von Christen vor Ort
  • Für 75% der evangelikalen Leiter ist es keine Frage, dass auch Frauen ins Pastorenamt berufen werden sollten

Natürlich haben die Meinungsforscher auch ein paar Dinge bestätigt, die man landläufig erwartet hätte – aber insgesamt bin ich mehr überrascht als bestätigt. Und: Mein persönlicher Eindruck vom Lausanne-Kongress in Kapstadt hat sich weiter bestätigt: Die Weltchristenheit – selbst nur der „evangelikale“ Sektor davon – tickt ziemlich anders als das mancher hier in Deutschland denkt, „Evangelikale“ eingeschlossen. Zeit für eine Horizonterweiterung!
Die vollständige Studie gibt’s zum Download gibt es hier.

0 Antwort
  1. Rainer

    Statistik schön und gut, pixelpastor, aber ich habe als Landeskirchler kein modernes Bild von den Evangelikalen. Wenn ich mal in einer Gemeinschaft/Gemeinde zu Besuch bin und sehe da den christlichen Büchertisch oder „Flyer“ der Schriftenmission, dann kann der wortgewaltige Prediger auch einen chicen Anzug anhaben und ein Beamer die Liedertexte projizieren; es wirkt auf mich nicht zeitgemäß. Und auch viele Formate bei euch sind doch inhaltlich sehr konservativ und bestätigen das aufgezeigte Bild von draußen eher. Für die „Wartburg-Gespräche“ gibt es allerdings Sternchen von mir!

    1. pixelpastor

      „Statistik schön und gut,… aber …wenn ich mal zu Besuch bin…“ – willst du bei deiner Bewertung wirklich lieber auf ein paar punktuelle eigene Eindrücke als auf eine repräsentative Erhebung setzen? Lebt es sich mit anektdotischer Beweisführung wirklich so viel bequemer, als wenn man sich hinterfragen lässt?

  2. Rainer

    Pixelpastor, es gibt genug Gemeinden, in denen es nach Frömmigkeit riecht und wo sich in 30 Jahren nicht viel ändert, auch wenn sie viel Zulauf haben. Ich will aber einen frischen theologischen Wind und einen Pastor, der auch mal über Politik und Gesellschaft predigt. Nimm dir mal ein Beispiel an dem Papstbesuch jetzt, was dieser Besuch ökumenisch bedeutet! Und es gibt auch woanders lebendigen Glauben als nur bei den Evangelikalen.

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