Gefangen in der Resonanz

Kodak hat es erleben müssen. Nokia und RIM auch. Microsoft steckt gerade mittendrin. Auf Apple könnte es auch noch zukommen – das Innovator’s Dilemma („die Zwickmühle des Erfinders“). Harvard-Professor Clayton Christensen beschrieb 1997 mit diesem Begriff die paradoxe Situation von Organisationen, die durch eine bestimmte Innovation groß geworden waren – und denen nun genau dieser Erfolg die Zukunft verbaut. Seitdem ist Innovator’s Dilemma mindestens in der Hochtechnologie-Branche zum feststehenden Begriff geworden. Die Idee dahinter ist aber genauso brisant für jede andere Art von Organisation, auch für christliche Gemeinden. Auch sie können in die „Zwickmühle des Erfinders geraten“, Opfer des eigenen Erfolges, gefangen in der Resonanz.
Das funktioniert so:
Es war einmal ein kleines Start Up-Unternehmen: Mutig, risikobereit, experimentierfreudig. Die Mitarbeiter hatten nichts zu verlieren und träumten davon, alles zu gewinnen. Sie ignorierten die Bedenken der Alteingesessenen, der Platzhirsche, der Marktführer. Sie legten nicht viel Wert auf das, was „schon immer so war“. Sie wollten Dinge anders machen, um andere Dinge zu erleben als die anderen. Mit viel Beharrlichkeit und Kreativität schafften sie schließlich den Durchbruch und wurden in kurzer Zeit unglaublich erfolgreich. Jeder wollte ihre Produkte, junge Leute standen Schlange, um dort einen Job zu ergattern. Aus dem kleinen Start-Up war ein marktbeherrschender Riese geworden.
Es ist die Art von Resonanz, von denen alle Firmengründer träumen. Und wenn der Traum in Erfüllung gegangen ist, stellen nicht wenige fest, dass sie in eben dieser Resonanz gefangen sind. Was die Organisation groß gemacht hat, mauert sie zunehmend ein. Die geniale Lösung von gestern ist nicht mehr die beste Lösung für morgen. Früher konnte man nur viel gewinnen – heute vor allem viel verlieren. Aus Wagemut wird Angst vor Veränderung. Das ist das Innovator’s Dilemma – gefangen in der Resonanz.
Gefangen in der Resonanz – das können auch Kirchen und Gemeinden sein: Anfänglich mag die innere Haltung der Beteiligten innovativ sein, risiko- und experimentierfreudig. Sie sind nicht so festgelegt was die Zielgruppe angeht, offen für vieles – und erleben noch wenig Resonanz. Wenn das Ganze gut läuft, nimmt die Resonanz immer mehr zu. Immer mehr Leute kommen regelmäßig in die Gemeinde, und deren Erwartungen sind für die Leiter automatisch präsenter als die der anderen, die nicht kommen. Immer fester zeichnet sich ab, welche Zielgruppen die Gemeinde da erreicht – und welche nicht. Immer mehr Ressourcen werden auf die Angebote konzentriert, die Resonanz liefern. Die Organisation „verbeißt“ sich im eigenen Erfolg. Dadurch bleiben immer weniger Ressourcen frei für neue Innovationen, für Risiko, für Experimente. Es gibt immer mehr zu verlieren und immer weniger Bereitschaft zum Wagnis. Das „Neue“ ist nicht mehr einzig mögliches Ziel, sondern Bedrohung des bisherigen Erfolgs. Aus Welteroberung wird Besitzstandswahrung – gefangen in der Resonanz.
Und so geht es weiter. Das Innovator’s Dilemma lauert überall. Um es zu überwinden, gründen manche Organisation intern eigene Startups – Narrenfreiheit und Finanzierung inklusive, Fehler machen ausdrücklich erwünscht. Andere Organisationen arbeiten hart daran, eine Kultur der Innovation und Flexibilität zu pflegen. Ich vermute: Was dabei von außen leicht und spielerisch daher kommt, ist intern mit viel Arbeit und umstrittenen Entscheidungen verbunden. Kodak hat das letztlich nicht geschafft. RIM und Nokia stehen kurz vor dem Abgrund. Bei Microsoft ist der Ausgang noch völlig offen.
Das Innovator’s Dilemma zu überwinden, ist schwer. Denn um aus der Gefangenschaft des eigenen Erfolges auszubrechen, muss man nicht nur denen „da draußen“ weh tun, denen man liebgewonnene Produkte, Dienstleistungen und Gewohnheiten wegnimmt. Man muss auch denen „hier drinnen“ weh tun, die sich seit Jahren für den Erfolg gekämpft haben und die auf eben diese Resonanz hingearbeitet haben.
 

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