Entscheidungsschwäche: Was passiert wenn nichts passiert

Ich bewundere Menschen, die gute Entscheidungen treffen können. „Gut“ heißt nicht nur, dass man dabei die langfristig beste Option aussucht. Das „Wie“ einer Entscheidung finde ich oft fast genau so wichtig als das „Was“. Ich habe großen Respekt vor Leitern, die Entscheidungen mit Fingerspitzengefühl für das richtige Maß an Einbeziehung von anderen, für das richtige Tempo und mit der richtigen „Härte“ treffen.
Schwierig wird es langfristig, wenn ein Leiter in einer Frage keine Entscheidung treffen kann oder will. Für eine Organisation bedeutet das oft das Gleiche wie für den Zustand in einem Familienhaushalt mit vier Teenagern: Wenn man die Dinge laufen lässt, wird sich der Gesamtzustand selten von in eine positive Richtung entwickeln. Insofern ist die Entscheidung Mutter der Veränderung.
Der amerikanische Autor und Berater Nick Tasler beschreibt in einem Beitrag für das Harvard Business Review, was in einer Organisation passiert, wenn Leiter fällige Entscheidungen nicht treffen:

  1. Entscheiden bedeutet, sich für die eine Option zu entscheiden – und damit gegen alle anderen Optionen. Damit gerät man in Konflikt mit all den Mitarbeitern, Kunden, usw., die diese anderen Optionen bevorzugen. Jede Entscheidung ist somit immer verbunden mit einer Abwägung und dem Auslösen eines Konfliktes. Das ist für alle Beteiligten „emotional anstrengend“ (Tasler) – was dazu führt, dass man versucht, Veränderung durch Hinzufügen zu erreichen. „Lasst uns auch noch X machen. Wir stellen auch noch Y ein. Projekt Z ist auch eine gute Idee.“ Veränderung durch Hinzufügen“ erspart dem Leiter eine Entscheidung gegen etwas und die emotionalen „Kosten“ des Konflikts. Aber nur kurzfristig.
  2. Denn wenn ein Leiter die notwendigen Abwägungen nicht vornimmt und den Konflikt vermeidet, verschwindet noch lange nicht die Notwendigkeit einer Abwägung. Der Entscheidungsdruck „tröpfelt durch die Organisation nach unten“ (Tasler). Nun müssen die Mitarbeiter jeden Tag mit Abwägungsfragen ringen und Konflikte auslösen: „Setze ich meinen Arbeitstag für X oder Y ein? Ist jetzt Projekt X oder Y wichtiger?“. Zwangsläufig landen Abwägung und Entscheidung bei Mitarbeitern, die sie nicht umgehen und weiter nach unten delegieren können, wenn sie ihren Job machen wollen.
  3. Durch das Umgehen einer Entscheidung hat der Leiter also die eigene Mühe der Abwägung und die emotionalen Kosten gespart, sie letztlich aber nur auf die gesamte Organisation verteilt.

Sicher kann man als Leiter bei Entscheidungen viel falsch machen. Gar nicht zu entscheiden ist aber fast immer der größere Fehler.

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  1. Schöner Beitrag und klasse Literaturtipp. Ich kann halt auch nicht nicht entscheiden. Auch das vermeiden einer Entscheidung ist eine Entscheidung mit den hier genannten Konsequenzen.

    1. pixelpastor

      @Malte: Genau – Das Nicht-Entscheiden hat genauso Konsequenzen wie das Entscheiden, es fühlt sich nur anders an. Und das ist das Problem.

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