Die Facebookisierung der klassischen Medien

Als das Web 2.0 groß wurde – die Älteren werden sich noch erinnern – begann die systematische Kritik der etablierten Medienmacher am neuen Mitmach-Internet. Spätestens die Bloggerszene und die sozialen Netzwerke machen das Maß für etablierte Journalisten voll. Der „Niedergang des Journalismus“ wurde und wird prophezeit, „Meinungsmache auf niedrigstem Niveau“ beklagt und ganz generell gewarnt: Wenn Medien immer öfter inhaltlich verkürzt, ohne selbstkritisches journalistisches Ethos und ohne Bezahlung produziert werden – dann geraten die klassischen Medien zunehmend ins Hintertreffen und es gibt irgendwann nur noch Meinung, aber keinen fachlich hochwertigen Journalismus mehr.
Längst sind wir an diesem Punkt angekommen, aber nicht jenseits der klassischen Medien wie jahrelang prophezeit, sondern gerade in ihnen. Ich finde in der Medienlandschaft von Spiegel über die Süddeutsche, die Welt bis hin zur FAZ immer mehr Meinung und immer weniger journalistische Distanz. Und das nicht nur da, wo es hingehört – im Kommentar oder der Glosse, sondern in den Artikeln, Überschriften und Online-Teasertexten der ganz normalen Berichterstattung. Je ideologischer ein Thema in der öffentlichen Diskussion aufgeladen ist – Pro und Contra Bildungsplan in Baden-Württemberg, Pegida ignorieren oder ernst nehmen, Muslime sollten sich vom Islamismus distanzieren oder nicht – desto mehr ärgert mich, wie gerade die klassischen Medienmacher immer mehr zu Meinungmachern werden, auf beiden Seiten.
Mit Formulierungen wie „Viele Menschen äußerten auf Twitter…“ oder „Auf einer Facebookseite tobte ein Sturm der Entrüstung…“ möchte man sich vielleicht echtzeit-affin und Netz-nah geben. In Wirklichkeit wird damit Meinungsmache aus sozialen Netzwerken (wo sie natürlicherweise hingehört) unter dem Anschein objektiver Berichterstattung in solche Medienerzeugnisse hinein transportiert, die selbst doch eigentlich der journalistischen Distanz verpflichtet haben. Und in Rubriken wie „Das sagen die Medien“ wird der Meinungsbrei dann nochmal umgerührt und aufgekocht.
Selbstverständlich gibt es keinen Journalisten ohne eigene Meinung. Und selbstverständlich ist jedes Medienprodukt immer auch ein Stück tendenziös – sei es offen weltanschaulich geprägt oder offiziell weltanschaulich neutral. Aber angesichts der hochkochenden medialen Emotionen in den letzten Monaten sollten sich Journalisten vielleicht doch mal wieder fragen, ob da nicht etwas aus dem Ruder gelaufen ist, und ob sie wirklich noch nach dem guten alten Grundsatz der journalistischen Distanz arbeiten: Dass man einem Bericht mit journalistischem Anspruch nicht ansehen können sollte, welche Überzeugung der Verfasser persönlich hat.
Denn wenn ich Meinungsmache will, kann ich auch gleich zu Facebook gehen.

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