1000 Jahre wie ein Tag

Es gibt eine Tatsache, die jedem Menschen bekannt ist, an der absolut niemand zweifelt. Und gleichzeitig ist es die Tatsache, die viele Menschen jeden Tag ignorieren, so gut sie können.
Wissen Sie, welche Tatsache das ist?
Es ist die Tatsache, dass jeder Mensch eines Tages sterben muss. Der Tod ist in unserer Welt, in Gesprächen, Zeitungen und Filmen überall präsent. Aber für die meisten Menschen bleibt es immer der Tod der anderen.
Ich glaube: Je mehr wir unsere eigene Vergänglichkeit ausblenden, desto mehr verschenken wir die Weisheit, die in dieser Tatsache verborgen ist. Aber man muss eine bestimmte Perspektive einnehmen, um den Schatz dieser Weisheit zu heben.

Dabei hilft ein Blick in die Bibel, in den 90. Psalm. Dieser Text ist ein mehrere tausend Jahre altes Gebet. Es sind die Worte des alttestamentlichen Propheten Mose – jemand, von dem die Bibel sagt, Gott habe sich mit ihm unterhalten wie ein Mann mit seinem Freund.
Die 17 Verse von Psalm 90 sind wie die Schalen einer Zwiebel rund um einen zentralen Vers herum angeordnet. Wenn  ich diese Schalen nacheinander von außen nach innen freilege, gewinne  ich drei wichtige Gedanken für mich – und die Weisheit, die in unserer eigenen Sterblichkeit verborgen liegt.
Der erste Gedanke: Die Beziehung zwischen Menschen zu ihrem Schöpfer reicht weit über das einzelne Menschenleben hinaus. Mose schreibt:
Herr, eine Zuflucht bist du uns gewesen, wo man sicher wohnen kann, du warst es für uns durch alle Generationen … lass deine Diener dein mächtiges Handeln erleben, über ihren Kindern lass deine Herrlichkeit sichtbar werden!
Gott ist  der Anker in der Geschichte. Er kannte die Menschen, die vor mir gewesen sind – und er wird die kennen, die nach mir kommen werden. Wenn ein Mensch über seine eigene Lebenszeit hinausschaut, dann schaut er wie mit durch ein Weitwinkelobjektiv in die Wirklichkeit Gottes.
Daraus entsteht ein zweiter Gedanke: Für Gott muss mein eigenes Zeitempfinden unglaublich klein sein, mein Festhalten und Absichern und mein Ehrgeiz im Alltag unendlich kleinlich. Mose war ein Mann, der in seinem Leben unglaublich viel erlebt und erreicht hat.  Gott hat mit ihm einen mächtigen Pharao besiegt, ein ganzes Volk befreit und Weltgeschichte geschrieben. Dieser Mose räumt in seinem Gebet ein:
Tausend Jahre sind in deinen Augen so kurz wie ein gerade vergangener Tag … wir durchleben unsere Jahre so rasch, als wären sie ein kurzer Seufzer … und was uns daran so wichtig erschien, ist letztlich nur Mühe und trügerische Sicherheit.
Wenn Gott so groß ist, dann bin ich es nicht. Wenn Gott über Generationen hinweg  der Anker in der Geschichte ist, dann bin ich es nicht. Wenn meine 70 oder 80 Jahre in Gottes Unendlichkeit eingebettet sind, dann hängen Wohl und Wehe der Zukunft nicht von mir ab.
In Vers 12 von Psalm 90 schließlich finde ich den dritten Gedanken, das Zentrum von Moses Gebet:
Lehre uns zu bedenken, wie wenig Lebenstage uns bleiben, damit wir ein Herz voll Weisheit erlangen!
Gottes Perspektive auf die Zeit mutet mir einen ehrlichen Blick auf meine Vergänglichkeit zu – aber sie hilft mir, im Alltag weise zu leben: Aus der Beziehung mit einem unbegrenzten Schöpfer heraus. Unverkrampft und dankbar für das, was er schenkt. Ich muss aus meinen 70 oder 80 Jahren nicht alles an Bedeutung herausholen, was ich kann.
Egal, was heute vor mir liegen mag,  ich darf mir mit Mose gelassen die Perspektive Gottes vor Augen führen: Tausend Jahre sind in deinen Augen so kurz wie ein gerade vergangener Tag.
 
(erschienen in der Sendereihe Wort zum Tag bei ERF Plus)

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