Letzte Worte

„Mehr Licht!“ – das sind die berühmt gewordenen letzten Worte des deutschen Dichters und Naturforschers Johann Wolfgang von Goethe, als er im März 1832 hochbetagt mit 82 Jahren in Weimar starb.

Letzte Worte lassen tief blicken – in die Banalität des Sterbens wie bei James Dean, kurz vor dem Zusammenprall mit einem entgegenkommenden Fahrzeug: „Der muss anhalten. Er wird uns sehen“.

Letzte Worte lassen tief blicken – in das Bedauern des oder der Sterbenden wie bei der britischen Königin Elisabeth der Ersten, die sich auf dem Sterbebett gewünscht haben soll: „All meinen Besitz gegen einen einzigen Moment mehr Zeit“.

Letzte Worte lassen tief blicken – in die Haltung eines Menschen wie bei Konrad Adenauer, der seiner um ihn versammelten trauernden Familie mitteilte: „Da gibt es nichts zu weinen.“

Letzte Worte ergeben sich manchmal aus der Situation heraus, und manchmal werden sie bewusst gewählt und gesprochen, als Ausdruck eines gelebten Lebens, eines lange verfolgten Traums oder einer unbeugsamen Hoffnung. So wie bei Simeon.

Er lebte vor fast 2.000 Jahren in Jerusalem. Wir wissen von ihm aus dem Lukasevangelium, dass er bei seinen Mitmenschen als gerecht und gottesfürchtig galt. Sein ganzes Leben lang sehnte er sich danach, dass Gott endlich den versprochenen Retter sendet. Simeon sehnte sich danach, dass sein Volk Gott von Herzen vertraute. Simeon hatte nicht nur diese Hoffnung, sondern er hatte im Lauf seines Lebens beim Beten auch den Eindruck gewonnen, dass er diesem Retter – den Messias, den Christus, den Heiland – noch sehen sollte, bevor er sterben würde.

Trotz dieser Hoffnung und dieser Erwartung war Simeon alt geworden. Eines Tages hielt er sich wieder einmal im Tempel in Jerusalem auf, als ihm ein junges Pärchen mit einem Baby entgegenkam. Kein ungewöhnlicher Anblick für Simeon, ein üblicher religiöser Brauch damals – aber diesmal war etwas anders.

Denn Simeon schaut das junge Pärchen – Josef und Maria – an, nimmt das Baby – Jesus – auf seine Arme und betet laut zu seinem Gott:

Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast;  denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen, das Heil, das du bereitet hast vor allen Völkern, ein Licht zur Erleuchtung der Heiden und zum Preis deines Volkes Israel.

So steht es in Lukas 2, 29-32. Was für ein Moment!

Was für ein Moment, wenn die Hoffnung und Erwartung eines langen Lebens plötzlich in Erfüllung gehen! Was für ein Moment, wenn Gott plötzlich für Simeon sichtbar werden lässt, was er ihm schon so lange Zeit zugeflüstert hatte! Was für ein Moment, wie ein Schlussstein in einem Leben der Hoffnung und der Sehnsucht, des Gebets und der Erwartung.

Was für ein Moment – und was für letzte Worte: „Nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen“. Simeon begreift, dass er nun getrost loslassen darf, was er ein Leben lang festgehalten hat. Nun kann er in Frieden diese Welt verlassen, denn er hat mit eigenen Augen gesehen, dass Gott sie nicht sich selbst überlassen wird.

Simeon verschwindet nach diesem Moment wieder im Nebel der Geschichte, und wir wissen nicht, wie lange er nach diesem Tag noch gelebt hat. Wir wissen nicht, was wirklich die allerletzten Worte von Simeon gewesen sind. Aber eins weiß ich mit Simeon, und Christinnen und Christen bezeugen es seit 2.000 Jahren aus ihrer eigenen Glaubens- und Lebenserfahrung: Die Rettung der Welt beginnt mit diesem Kind. Mit Jesus. Noch hat Gott sein Werk nicht vollendet. Aber die Rettung der Welt – sie hat begonnen.

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