Wie gerecht ist Gott?

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Wie gerecht ist Gott? Eine uralte Frage, und bis heute gibt es keine Antwort, mit der jeder und jede in Gedanken und mit ganzem Herzen einverstanden und zufrieden wäre. Über diese Frage wurde und wird theologisch gestritten, aber sie bekommt eine ganz besondere Brisanz, wenn sie aus persönlichem Leid heraus gestellt wird. So wie von Hiob. Im gleichnamigen Buch im Alten Testament wird 42 Kapitel lang die Frage nach Gottes Gerechtigkeit verhandelt. Dabei prallen das persönliche Leid Hiobs und die theologischen Argumente seiner Freunde wild aufeinander.

Wie gerecht ist Gott? Hiob sucht nach einer Antwort,  in der Hoffnung, dass sie sein persönliches Leid erträglicher macht. Für ihn steht auf dem Spiel, ob er in seinem Leid noch an Gott festhalten kann. Für seine Freunde, die eigentlich gekommen waren, um Hiob zu trösten, steht schnell auf dem Spiel, wie sie ihre einfache theologische Maxime „Guten passiert Gutes, Bösen passiert Böses“ im Angesicht von Hiobs Leid aufrecht erhalten können.

Einer dieser Freunde, Zofar, führt als Argument ins Feld (Hiob 20,4):

Weißt du nicht, [Hiob,] dass es allezeit so gegangen ist, seitdem Menschen auf Erden gewesen sind, dass das Frohlocken der Gottlosen nicht lange währt und die Freude des Ruchlosen nur einen Augenblick?

Kurz gesagt: Gott ist gerecht, denn Gottlose haben keine Zukunft. Und dann malt Zofar orientalisch- bildhaft aus, wie genau das vermeintlich gute Leben böser Menschen am Ende den Bach runter geht.

Das Problem mit diesem Argument sind die Gegenbeispiele. Es gab und gibt immer wieder Menschen, die Gott links liegenlassen und die trotzdem reich, gesund und erfolgreich sind und in hohem Alter friedlich einschlafen. „Guten passiert Gutes, Bösen passiert Böses“ – das stimmt einfach nicht. Wenn Gott wirklich gerecht ist, dann muss man das an etwas anderem erkennen können.

So ging es auch Hiob. In Hiob 21 schleudert er Zofar genau solch ein Gegenbeispiel entgegen. Und nun ist er es, der in allen Facetten ausmalt, wie ein „Frevler“ (wie Martin Luther es übersetzt) jede Verantwortung vor Gott mit Füßen tritt – und gleichzeitig ein erfolgreiches und allseits anerkanntes Leben führt. Und im Tiefsten, so glaube ich, treibt Hiob dabei ein Vergleich um: Wenn ich, Hiob, so viel gottesfürchtiger gelebt habe als dieser Frevler, und es mir jetzt aber so viel schlechter geht als ihm – wie kann Gott da gerecht sein?

Und ich frage mich: Warum hat Hiob eigentlich nie den umgekehrten Vergleich angestellt – dass es Menschen, die vermeintlich „besser“ sind als er, schlechter ergeht als ihm? Ist es vielleicht eine allgemeine, menschliche Tendenz, dass wir uns in der Frage, was uns zusteht, immer mit den vermeintlich besser Gestellten vergleichen? Und in der Frage nach persönlicher Schuld immer nach unten mit den vermeintlich „wesentlich Schlimmeren“?

Am Ende bringt alles Vergleichen von Menschen, ihrer Gottesfürchtigkeit und ihren Schicksalen, Hiob in der Frage nach Gottes Gerechtigkeit nicht weiter. Und sie bringt auch uns nicht weiter. Gottes Gerechtigkeit bildet sich einfach nicht vollständig auf dieser Erde ab, und sie lässt sich auch nicht vollständig aus einer irdischen Perspektive ablesen. Hiob drückt diese Erkenntnis in Kapitel 21 Vers 22 einmal so aus:

Wer will Gott Weisheit lehren, der auch die Hohen richtet?

Soll heißen: Niemand steht über Gottes Urteil und jenseits von Gottes Urteilskraft. Selbst die „Hohen“ nicht – die Mächtigen und Wohlhabenden. Die Frage nach Gottes Gerechtigkeit kann kein Mensch wirklich beantworten.

Und auch Hiob steht nicht über dieser Frage, sondern darunter. In seinem Leid fällt es Hiob schwer, Gottes Gerechtigkeit dessen Sache sein zu lassen, und es dauert im Buch Hiob noch bis fast zum Schluss, bis Hiob soweit ist, zu Gott sagen (Hiob 40,4):

Siehe, ich bin zu gering, was soll ich dir antworten? Ich will meine Hand auf meinen Mund legen.

Vielleicht ist es das, was ich aus diesem Bibeltext mitnehme: Gottes Gerechtigkeit ist höher als „Guten passiert Gutes und Bösen passiert Böses“. Gottes Gerechtigkeit kann ich an den Zuständen auf dieser Erde nicht ablesen. Am Ende muss ich wie Hiob das gerechte Urteil Gott überlassen und mit Hiob anerkennen:

Wer will Gott Weisheit lehren, der auch die Hohen richtet?

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