Wüstenzeit

Manche Dinge kann ich erst richtig schätzen, wenn ich mal einen Schritt zurück trete und das Ganze auf mich wirken lasse. Den feinen Pinselstrich in allen Details eines großartigen Kunstwerks, zum Beispiel. Die feinen Arrangements in einer meisterhaft komponierten Symphonie. Die besonderen Momente mit einem geliebten Menschen, von dem ich für dieses Leben Abschied nehmen musste. Oft erst in der Gesamtschau und manchmal auch erst im Rückblick wird der überschwängliche Reichtum deutlich, an dem ich über weite Strecken vielleicht eher achtlos vorbeigegangen bin, vorbei gelebt habe. Deshalb brauchen wir immer wieder eine Erinnerung, ein Vor-Augen-Führen des Guten.
Eine solche Erinnerungshilfe steckt für mich im Alten Testament in Psalm 63. Es ist ein Gebet, das der damalige König David in einer Wüstenzeit seines Lebens aufgeschrieben hat. In einer „Wüstenzeit“ im doppelten Wortsinn, übrigens: David war vor seinen Widersachern in die Wüste von Juda geflüchtet – und er fühlte sich auch innerlich in der Wüste.
Auch ich kenne solche Wüstenzeiten, und vielleicht haben Sie das auch schon erlebt. Zeiten, in denen man mit David nach Gott suchen und nach Gott rufen möchte: „Wie ein Durstiger, der nach Wasser lechzt, so verlangt meine Seele nach dir!“
In dieser Situation wird David bewusst, was er an Gott hat. Was er an einem Leben in der Nähe und in der Zuwendung Gottes schätzt. David tritt einen Schritt zurück und schaut auf das Ganze seines Lebens. Was ihm dabei klar wird, beschreibt er rund um Vers 5 dann so (Psalm 63,5):

Gott – Deine Güte ist besser als das Leben, mit meinem Mund will ich dich loben. Ja, so will ich dich preisen mein Leben lang, im Gebet will ich meine Hände zu dir erheben und deinen Namen rühmen. Deine Nähe sättigt den Hunger meiner Seele wie ein Festmahl.

David überliefert uns hier zwei Gewissheiten.
Erstens: Wenn ich alles nebeneinander aufreihe, was an Gutem in meinem Leben zu Hause ist – alle Menschen, die mir etwas bedeuten, alle schönen Erfahrungen, aller Wohlstand und Besitz – wenn ich all das nebeneinander aufreihe – dann wird all das noch überragt von Gottes Güte: „Gott, deine Güte ist besser als das Leben!“
Und zweitens: Alle diese Dinge in meinem Leben sind gut, aber sie machen meine Seele nicht wirklich satt. Wenn ich Gottes Nähe nicht erlebe, bleibt da etwas hungrig, offen, unbefriedigt: „Gott, deine Nähe, sättigt den Hunger meiner Seele wie ein Festmahl“.
Diese Erkenntnis führt David in eine überschwängliche Freude an seinem Gott. „Mit meinem Mund will ich dich loben! Ich will dich preisen mein Leben lang! Im Gebet will ich meine Hände zu dir erheben und deinen Namen rühmen!“
So freut sich David an Gott. Mitten in der Wüste. Mitten in seiner Wüstenzeit. Das wünsche ich Ihnen und mir auch – dass wir immer wieder wie David einen Schritt zurückzutreten können, und auf das Ganze des Lebens schauen, und dass wir uns überschwänglich an Gott freuen!
 
(erschienen in der Sendereihe Wort zum Tag bei ERF Plus)

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