Durchlässig leben

Heute ist Buß- und Bettag. Buße ist ein komisches Wort – und hat in mir schon immer seltsame Assoziationen ausgelöst: Buße als eine Art verordnete Zerknirschtheit: „Jetzt musst du beten, jetzt mußt du Buße tun!“
Für manche ist Buße eine lästige Pflicht, So wie Zähneputzen: Buße, dreimal täglich drei Minuten. Es ist lästig, muss aber sein. Ich mache es nicht gerne, aber es wird mir abverlangt. Buße als Sündenhygiene, oder – schlimmer – als Frondienst für einen gestrengen Herrn, der mich klein hält und mir klar macht: „Du bist ein Nichts!“
Für andere ist Buße eine Erinnerung an eine dunkle Vergangenheit. Gehört „Buße“ nicht zu Umkehr, zu Bekehrung, zu einer Abbwendung von schlimmen Dingen, die man „damals“ getan hat? Buße müßte damit doch abgehakt sein… oder?
In Philipper 3, 10-12 finde ich einen neuen, frischen Blick auf das Thema Buße:

[Christus] möchte ich erkennen und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft seiner Leiden und so seinem Tode gleich gestaltet werden, damit ich gelange zur Auferstehung von den Toten. Nicht, dass ich’s schon ergriffen habe oder schon vollkommen sei; ich jage ihm aber nach, ob ich’s wohl ergreifen könnte, weil ich von Christus Jesus ergriffen bin.

Dieser Blick auf Buße hat herzlich wenig mit verordneter Zerknirschtheit zu tun. Aber dafür ganz viel damit, wer ich bin – und wer ich werde. Buße ist eine Art zu denken, Motor für geistliches Wachstum. Mit einem Satz:

Buße ist die Sensibilität für geistliche Bedürftigkeit.

Und diese Sensibilität führt zu einem durchlässigen Leben.
Durchlässig in der Vertikalen – gegenüber dem Reden Gottes
Paulus schreibt in Philipper 3 über seine Vergangenheit. Eine für einen Apostel und „Superchristen“ schlimmstmögliche Vergangenheit. Aber ich finde keine andauernde Zerknirschtheit, sondern einen Blick nach vorn. Keine Resignation, sondern eine Sehnsucht nach dem, was Gott noch hervorbringen wird in ihm, seinem Leben, seinem Charakter, seinem Dienst. Ich finde auch kein Abschieben der Bedürftigkeit in die Vergangenheit. Früher war vieles Schwarz – aber heute ist noch lange nicht alles Weiß. Mit der Bekehrung ist für Paulus noch nicht alles in Ordnung gekommen: „Nicht dass ich’s schon ergriffen habe…“
Paulus ist noch nicht fertig. Er sagt drückt damit aus: Ich muss mein geistliches Leben nicht verwalten und einfach nur noch bis zum Himmel warten. Es gibt hier und jetzt etwas, dem ich nachjagen will! Ich bin geistlich bedürftig – und Gott muss und wird auf diese Bedürftigkeit noch antworten.
Für Paulus ist die eigene geistliche Bedürftigkeit nicht nur ein theologisches Faktum. Sondern erlebte Realtität hier und jetzt. Buße ist Sensibilität für geistliche Bedürftigkeit. Buße heißt, durchlässig zu leben.
Durchlässig in der Horizontalen – gegenüber Anderen
Ein solches Leben zeigt sich nicht nur in der Vertikalen, inder Offenheit für Gottes Reden, sondern auch in der Horizontalen. Paulus, der Apostel und Superchrist, schreibt gleich an eine ganze Gemeinde von seiner eigenen geistlichen Bedürftigkeit. Er macht das transparent, dass er „es noch nicht ergriffen hat“. Und das ist kein „fishing for compliments“, sondern Paulus weiß: Wenn er diese Sensibilität für seine geistliche Bedürftigkeit vor anderen eingesteht, hilft er damit den anderen, es sich auch einzugestehen. Und damit hilft er ihnen, geistlich zu wachsen.
Später schreibt er in diesem Abschnitt (Vers 17): „Folgt mir, liebe Brüder, und seht auf die, die so leben, wie ihr uns zum Vorbild habt“. Wer Buße so lebt, der ermutigt auch andere dazu. Wer seine geistlicher Bedürftigkeit nicht versteckt – der ermutigt dadurch andere es ihm gleich zu tun.
Übrigens ist das keine Frage des Alters. Es hängt auch nicht davon ab, wie lange man schon Christ ist. Ich bin seit fast 20 Jahren Christ – und doch gibt Leute, die weniger Erfahrung haben, von denen ich viel lernen kann. Am meisten habe ich von solchen Christen gelernt, die so mutig und ehrlich waren, mir genau das vorzuleben: Dass sie selbst geistlich bedürftig sind. Und die sich nicht zu schade waren, das sich selbst, vor Gott und vor anderen immer wieder einzugestehen.
Buße, so verstanden, führt zu einem durchlässigen Leben. Durchlässig für Gottes Einfluss. Durchlässig für Ermutigung und Lernen von anderen.
Von diesem Buß- und Bettag will ich zwei Herausforderungen mitnehmen:

  1. Bist du geistlich bedürftig? Worauf bist du angewiesen? Gestehst du dir das ein? Gibst du das vor Gott und vor anderen zu? Nicht als theologisches Faktum, sondern persönlich?
  2. Bist du bereit, immer wieder von anderen geistlich zu lernen? Dich von ihnen herausfordern zu lassen? Bist du bereit, so mutig und ehrlich zu sein, dass andere von dir geistlich lernen können? Dass sie deine geistliche Bedürftigkeit zu sehen bekommen?

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