„Es gibt keine falschen Fragen“, sagen die, die einem introvertierten Gegenüber Mut machen möchten, mit der Sprache rauszurücken. Vielleicht gibt es tatsächlich keine falschen Fragen. Aber es gibt welche, die nicht weiterführen, sondern falsche Annahmen des oder der Fragenden offenbar werden lassen.
Das gilt auch im Bereich von Glaube und Gottvertrauen. Vielleicht sogar gerade da. Darüber bin ich gestolpert im Johannesevangelium in Kapitel 6, als eine nicht näher beschriebene Menge von Menschen Jesus sucht. Jesus findet. Jesus Fragen stellt. Auslöser war zuvor die wundersame „Speisung der 5.000“: Jesus macht fünf Broten und zwei Fischen eine große Menge von Menschen auf übernatürliche Weise satt. Das spricht sich rum, schnell. Und viele machen sich auf, den angeblichen Wundertäter zu sprechen und ihre Fragen loszuwerden:
Als die Leute schließlich merkten, dass Jesus nicht mehr da war und seine Jünger auch nicht, stiegen sie in diese Boote und setzten nach Kafarnaum über, um ihn dort zu suchen. Und auf der anderen Seite des Sees fanden sie ihn dann auch. »Rabbi«, fragten sie ihn, »wann bist du denn hierher gekommen?« (Johannes 6,24-25)
Das ist die erste falsche Frage: Jesus, wo und wann gibt’s von dir das nächste Brot, das nächste Wunder?
„Darum geht’s doch nicht“, sagt Jesus:
… ihr sucht mich nur, weil ihr von den Broten gegessen habt und satt geworden seid. Aber was Gott euch durch die Wunder sagen will, wollt ihr nicht verstehen. Statt euch nur um die vergängliche Nahrung zu kümmern, bemüht euch um die Nahrung, die Bestand hat und das ewige Leben bringt. Diese Nahrung wird euch der Menschensohn geben, denn ihn hat Gott, der Vater, als seinen Bevollmächtigten bestätigt. (Johannes 6, 26-27)
Ah, okay, denken sie – es geht Jesus offensichtlich nicht um Brot auf Erden, sondern um Gott im Himmel. Und stellen ihre zweite falsche Frage:
Was für Dinge müssen wir denn tun, um Gottes Willen zu erfüllen? (Johannes 6, 28)
Okay, wenn’s um Gott geht, Jesus – was müssen wir tun damit er mit uns happy ist? Damit er uns diese „Nahrung vom Himmel“ gibt? Und ich höre Jesus fast förmlich seufzen. Knapp daneben ist auch vorbei. „Falsche Frage“, sagt Jesus, „es geht nicht darum, was ihr tut – sondern darum, wem ihr vertraut“:
Gottes Wille wird dadurch erfüllt, dass ihr an den glaubt, den er gesandt hat. (Johannes 6, 29)
Jesus stellt die Vertrauensfrage. Und sie fangen an, Jesus dafür Bedingungen zu stellen:
Wenn wir dir glauben sollen, dass du von Gott gesandt bist, dann lass uns ein Wunder sehen, das es uns beweist. Wo bleibt dieser Beweis? Damals in der Wüste haben unsere Vorfahren Manna gegessen, wie es ja auch in der Schrift heißt: ›Brot vom Himmel gab er ihnen zu essen.‹ (Johannes 6, 30-31)
„Wo ist dein Beweis?“ – das ist falsche Frage Nummer drei. Hat Jesus nicht gerade erst mit fünf Broten und zwei Fischen 5.000 Menschen satt gemacht? Hat er nicht gerade darüber gesprochen, dass sie gerufen sind, ihm zu vertrauen? Aber sie fragen nach einem Beweis. Und zwar nicht irgendeinem, sondern dem größten materiellen Wunder, an das sie sich in ihrer eigenen Geschichte erinnern können: Als Gott in der Wüste das ganze Volk mit dem vom Himmel fallenden brotähnlichen Manna am Leben gehalten hat. Jesus, wann lässt du es für uns Brot regnen?
Aber das ist die falsche Frage, sagt Jesus: Hier ist nicht einer, der euch Brot vom Himmel gibt. Sondern ich bin der Himmel selbst, der zu euch kommt. Denn:
Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, wird nie mehr hungrig sein, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben. Aber es ist, wie ich euch schon gesagt habe: Trotz allem, was ihr von mir gesehen habt, glaubt ihr nicht. (Johannes 6, 35-36)
Alle bisherigen Fragen an Jesus sind falsche Fragen, weil sie alle von einer Annahme ausgehen, die einfach nicht der Wirklichkeit entspricht: Dass das Verhältnis zwischen Gott und Mensch transaktional sei: Wann bekommen wir? Was müssen wir tun? Was ist dein Beweis, deine Vorleistung? Aber das Verhältnis von Gott und Mensch ist keine Frage des Vorteils, sondern eine Frage des Vertrauens. Jesus versucht, die Fragenden immer wieder weg von der Transaktion und hin zum Vertrauen in seine Person zu lenken. Aber er dringt damit nicht durch. Zumindest nicht bei seinen heutigen Gesprächspartnern. Aber er weiß: Es wird andere Tage geben, andere Gelegenheiten, andere Gesprächspartner.
Es wird Menschen geben, die die richtigen Fragen stellen. Und die sich einlassen auf seine Antwort und seine Einladung, ihm zu vertrauen. Und diesen Menschen gibt er schon einmal eins der großartigsten Vorschuss-Versprechen in der ganzen Bibel:
Alle, die der Vater mir gibt, werden zu mir kommen, und wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausweisen. (Johannes 6,35)
Mit diesem Versprechen im Rücken kann ich bei mir selbst neu hinschauen: Wo stelle ich Jesus laufend die falschen Fragen? Wo denke ich insgeheim transaktional – und wie sieht mein nächster Schritt aus, Jesus zu vertrauen?