Sünde Nr. 1

Menschen suchen Extreme. Wer daran zweifelt, dem mag ein Blick ins Guiness-Buch der Rekorde weiterhelfen: Der größte X, die tiefste Y, das schnellste Z. Das gilt auch im Negativen: Dokusoaps und Schein-Beratungs-Sendungen übertrumpfen sich gegenseitig auf der Suche nach dem supersten Star, dem toppsten Model, dem chaotischsten Messie, den oder die es zu feiern, auszuwählen, zu retten oder zu bemitleiden gilt (manchmal auch alles gleichzeitig). Irgendwas in uns drin hat ein morbides Interesse an dem, was „am Schlimmsten“ ist.
Vielleicht deshalb taucht immer mal wieder die Extremsuche in der religiösen Variante auf: Was ist die schlimmste Sünde? Gibt es eine Tat, ein Verhalten, eine Haltung des Herzens, die Gott mehr hasst als alles andere? Was ist die Sünde Nr. 1?
Ich bin nicht sicher, ob es darauf die eine, allein richtige Antwort gibt. Oder ob man sie aus der Bibel ableiten kann. Oder ob es wirklich wichtig ist, diese Frage überhaupt zu beantworten. Ich vermute auch, dass sich in unserer Antwort auf die Frage nach der Sünde Nr. 1 mehr mein eigenes ethisches Koordinatensystem wiederspiegelt als das meines Schöpfers. Aber nicht selten überrascht dann doch, was man in der Bibel findet. Auch zur Frage nach der Sünde Nr. 1. Zum Beispiel streckenweise in Psalm 12:

Hilf, HERR! Die Heiligen haben abgenommen, und gläubig sind wenige unter den Menschenkindern. Einer redet mit dem andern Lug und Trug, sie heucheln und reden aus zwiespältigem Herzen. Der HERR wolle ausrotten alle Heuchelei […] »Weil die Elenden Gewalt leiden und die Armen seufzen, will ich jetzt aufstehen«, spricht der HERR, »ich will Hilfe schaffen dem, der sich danach sehnt.« Die Worte des HERRN sind lauter wie Silber, im Tiegel geschmolzen, geläutert siebenmal.

König David – der diesen Psalm verfasst hat – klagt seinem Gott über die wachsende Gottesferne seiner Zeitgenossen. „Die Heiligen haben abgenommen“ – das heißt: Es gibt immer weniger Menschen, die sich in ihrem Denken und Handeln vor Gott verantwortlich wissen. Woher weiß David das? Woran merkt er das konkret?
„Sie heucheln und reden aus zwiespältigem Herzen…“ – das scheint für David das Haupt-Erkennungsmerkmal für die wachsende Gottesferne zu sein. Nicht zurückgehender Gottesdienstbesuch. Nicht der Rückgang der Großzügigkeit im Spendenverhalten. Nicht der Verfall von Sexualmoral. Nein – erstes Erkennungsmerkmal für Gottesferne ist für ihn Heuchelei. Reden aus zwiespältigem Herzen. Das eine denken und das andere sagen. Das eine glauben und das andere bekennen. Das eine versprechen und das andere tun. Für David heißt die Sünde Nr. 1 seiner Zeit – Heuchelei.
Deshalb sehnt er sich auch danach, dass sein Gott ein Ende damit macht („Der Herr wolle ausrotten alle Heuchelei…“). Interessanterweise muss man nicht besonders gläubig sein, um Heuchelei zu verabscheuen. Im Gegenteil – manchmal ist „Heuchelei“ der Hauptvorwurf von ungläubigen gegenüber gläubigen Menschen. So verschieden wir glauben oder nicht glauben mögen – Heuchelei mag niemand (er)leiden.
Auch Gott nicht. Denn Heuchelei ist kein Kavaliersdelikt – wenn man ihr verbal freien Lauf lässt, führt sie immer zu ganz realer Unterdrückung. Wenn Fehlverhalten gegenüber Anderen nicht mehr selbst bekannt oder von anderen beim Namen genannt wird, sondern mit schönen Worten übertüncht wird, dann leiden Menschen ganz konkret. Dann führt es letztlich dazu, dass „die Elenden Gewalt leiden und die Armen seufzen“, wie David schreibt. Unter der erstickenden Decke der Heuchelei zerfällt das Recht in einer Gesellschaft. Schon deshalb mag Gott Heuchelei nicht. Deshalb ist es auch für ihn in Psalm 12 die Sünde Nr. 1. Deshalb entscheidet er sich, jetzt einzugreifen – zugunsten derer, die sich nicht selbst wehren können gegen die Mächtigen, deren Taten für Menschenaugen hinter ihrer Heuchelei verborgen bleiben.
Und noch aus einem weiteren Grund ist Heuchelei für Gott unerträglich: Weil er selbst so ganz anders ist. „Die Worte des Herrn sind … geläutert siebenmal“. Geläutert. Gefiltert. Von aller Schlacke befreit. Rein, klar, verläßlich. Gott sagt was er tut und tut was er sagt. In ihm ist keine Heuchelei.
Das ist letztlich der Grund, warum Jesus Jahrhunderte späterso hart mit den Pharisäern und öffentlich frommen Theologen seiner Zeit ins Gericht geht und ihnen Heuchelei vorwirft. Warum Jesus seine Nachfogler auffordert, nicht zu schwören sondern einfach nur verläßlich „Ja“ oder „Nein“ zu antworten. Warum Heuchelei für Jesus nah dran ist – an der Sünde Nr. 1.
Frage: Wie erkenne ich bei mir selbst Heuchelei?
Und: Was hilft mir, ehrlich und geradlinig mit dem umzugehen, was ich denke, sage und tue?

0 Antwort
  1. Wolfgang Klimm

    Volltreffer!
    Das ist der Misthaufen in unserem christlichen Biotop und wir haben uns auch schon an den Gestank gewöhnt.
    Ausmisten!
    Freunde helfen dabei, die die Lizenz zur schonungslosen Rückmeldung in mein Leben haben.

  2. Köki

    Hallo Pixelpastor :-), das Thema find ich sehr geil, weil es den Nagel auf den Kopf trifft!!! Nicht umsonst predigt Jakobus über „Hörer und Täter des WORTES“. Das schließt für mich persönlich die sozialpraktische Nächstenliebe mit ein, die ohne HOLY TRINITY (GOTT-VATER-SOHN u. HEILIGER GEIST) – sag ich öfters so, weil ich keinen benachteiligen will 🙂 für mich, aus eigener Kraft, nicht möglich ist!!! Das stimmt, das Heuchelei Sünde ist! Denn Heuchelei beinhaltet für mich die Lüge, welche das Gegenteil der Wahrheit (JESUS) ->“Ich bin der Weg, und die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum VATER, denn durch mich.“ Joh.14,6 , ist. Doch ich bin der Meinung, die Frage nach der Sünde Nr.1, hatten die Pharisäer JESUS eigentlich auch schon gefragt, indem sie von IHM das wichtigste Gebot (zu lesen in Mt.22,36-40) wissen wollten. Für mich ist ebenfalls die LIEBE, als 1. zu GOTT u. 2. zu meinem Nächsten wie zu mir selbst die/meine Messlatte! Meine Liebe zu HOLY TRINITY zeigt sich darin, wieviel Zeit ich bereit bin, in meine persönliche Beziehung mit IHM zu investieren!!! Und die Liebe, sowie ich/(neue Kreatur in JESUS CHRISTUS) wachsen in dem Maß unserer Gemeinschaft (Lobpreis, Gebet u. Bibelstudium) mit HOLY TRINITY! Heuchelei ist Betrug und Selbstbetrug – Schein und Sein oder Reden mit gespaltener Zunge- Schlange im Paradies- Teufel der schmeichelt und verführt und lügt!!! Genau, Satan ist der Vater aller Lüge!!! Ich sündiger Mensch bin so dankbar für die Gnade durch JESUS` Vergebung und das mir der HEILIGE GEIST nicht nur hilft mich der Sünde/meines Fehlverhaltens zu überführen, SONDERN auch EHRLICH zu sein, in der Erkenntnis, ich kanns nicht selbst ändern und IHN zu Bitten mir/uns zu helfen, bei meiner/unserer Million Baustellen ;-), das EHRT GOTT!!! Dadurch zeigt mir HOLY TRINITY ich steh in absoluter Abhängigkeit von IHM und es gibt nix worauf ich Stolz sein könnte!!! GOTT sei Dank!!! Ohne JESUS bin wir nix!!! Praise the LORD 4 ever!!! Ich bin lieber zu ehrlich und werde dafür von anderen als „unheilig“ benannt, weil wir halt auf dem Weg hier auf Erden noch nicht vollkommen sind bis wir beim VATER im Himmel sind! So far, be blessed glg Köki 🙂

  3. Ralf Husmann, Autor von „Stromberg“ bringt den Verdrängungsmeachnismus gut auf den Punkt: „Ich habe mit zahlreichen Chefs über die Serie gesprochen – vom Big Boss bis zum Abteilungsleiter. Aber es hat noch nie jemand gesagt: ‚Großer Gott, ich bin manchmal auch so. Danke, dass du mir die Augen geöffnet hast.‘ Stattdessen höre ich oft: ‚Du, ich kenn da einen, der ist genau wie Stromberg.'“
    Bin gespannt auf Deine Antworten, Jörg.

  4. Sorina Munteanu

    I always remember what the Indian poet Rabindranath Tagore said when he visited a church in Romania, at the beginning of the XXth century. He took a look over the walls and said, with voice full of bitterness and disgust: „This church smells like dead body…“ And he went immediately out. The people of his little group remained speechless, unable, for long time, to understand what could be the meaning of those hard words.
    Today I ask also myself what could be the meaning of such a hard observation. Why did he feel that that church smelled like dead body? Maybe he meant that every church where nobody comes anymore to meet God and to make the ersonal life holy through the gifts of the Holy Spirit, in sacraments, is like a beautiful tomb, where inside there is nothing else but the stench of the bones of the dead people – people with dead soul?
    Or maybe just because, in an unexplainable way, he could feel the hypocrisy of the Christians who remain Christians only with the name, but never with the heart and with the way of living? The hypocrisy of the „Christians“ who remain with the body in church, but with the spirit in the decay of the same world without God? The hypocrisy of the false „Christians“ who speak with talent about the reality of faith, while they live worse than the pagans?
    Perhaps the famous Bengali poet was shocked exactly by the hypocrisy which dominates the world, the deeds and the life of the Christians and his verdict, although with different words, was the same as that of his compatriot, Mahatma Gandhi, who always used to say:“ I love Christ and the Christian faith, but I do not love the Christians… These Christians whom I see and meet are so different fom Christ“…
    What a sad and painful meditation… What a shame for our life full of lies and empty words, what a shame for our shameless hypocrisy…

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