Versöhnung oder Vergiftung?

Wo Menschen zusammen leben, da ist Streit. Je umfassender Menschen mit verschiedenen Erwartungen aufeinander treffen, desto höher schlagen oft die Wellen. Zum Beispiel in der Familie.
Dabei hat jede Familie ihre ganz eigene Art zu streiten. Manche Familien beherrschen eine gute Art von Streit. Sie setzen sich auf gesunde Art und Weise mit dem auseinander, was unter der Oberfläche schwelt. Diese gute Art von Streit bringt Beziehungen voran. Aber es gibt auch schlechten Streit, und in manchen Familien scheint er sich geradezu eingenistet zu haben. Schlechter Streit lähmt, verletzt oder macht krank. Beziehungen können sich nicht entwickeln, sondern werden vergiftet, manchmal jahrelang.
Eine Familie mit einer solchen ungesunden Streitkultur ist die von Josef, beschrieben im Alten Testament. Josef wird ständig von seinem Vater bevorzugt, weswegen ihn seine Brüder aus Neid in die Sklaverei verkaufen. Danach plagen sie Gewissensbisse, und sie schieben sich gegenseitig die Verantwortung dafür zu.
Nach Jahren treffen Josef und seine Brüder zufällig wieder aufeinander. Was dann passiert, ist ein Wunder in einer Familie mit einer ungesunden Streitkultur: Josef verzeiht seinen Brüdern. Er versöhnt sich mit denen, die ihm Unrecht angetan haben.
Als sie sich voneinander verabschieden, gibt Josef seinen Brüdern noch eine Mahnung mit. Sie lautet: Zankt nicht auf dem Weg! (1. Mose 45,24)
Josef sagt das, weil er weiß: Versöhnung bringt Beziehungen voran – aber sie ist kein einmaliges Gespräch, sondern ein Prozess. Josef wünscht sich, dass die Versöhnung Kreise zieht. Dass aus der Versöhnung zwischen ihm und seinen Brüdern auch eine Versöhnung der Brüder untereinander erwächst. Dass seine Brüder nicht wie gewohnt weiter destruktiv streiten, sondern die Chance nutzen, die im Geschenk der Versöhnung steckt.
Die Chance der Versöhnung nutzen, wo immer Gott sie schenkt – dafür möchte auch ich heute die Augen offen halten.
(erschienen in der Sendereihe Anstoß bei ERF Plus)

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