Wie viel Widerspruch ist erlaubt? Fühlt sich der Chef bedroht, wenn andere manches anders sehen? Wie viel Interesse besteht an wirklich an dem, was einzelne Mitarbeiter denken? Willkommen im Spannungsfeld Nr. 4:
Sei fokussiert auf Themen, aber flexibel bei abweichenden Meinungen.
Wenn man einen Eindruck von der internen Kultur einer Organisation, Firma oder Gemeinde gewinnen will, bekommt man ihn besonders schnell, wenn man eine der Meetings oder Sitzungen besucht. Vorzugsweise eins, in dem mehrere Leute versuchen, ein bestehendes Problem zu lösen. An Formulierungen und Körperhaltung der Mitarbeiter lässt sich oft ablesen, welcher Führungsstil in der Organisation herrscht, und wie der Leiter mit abweichenden Meinungen seiner Mitarbeiter umgeht.
Da gibt es zum Beispiel den unsichtbaren Elefanten im Raum: Die Leute lavieren in ihren Wortmeldungen um unausgesprochene, kritische Punkte herum, die nach ihrer Vermutung oder Erfahrung den Chef zum Ausrasten bringen oder mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit sein Missfallen erregen werden.
Oder den sichtbaren Elefanten im Raum: Obwohl es eigentlich um das Sammeln von Ideen ging, dominiert nach kurzer Zeit nur noch einer die Diskussion und erklärt seinen Mitarbeitern die Welt – der Chef. Aus einer Sachdiskussion ist eine Machtdemonstration geworden, andere Meinungen wird kein Platz eingeräumt und darum werden sie auch nicht mehr geäußert.
Oder den abwesenden Leiter: Im Stil eines basisdemokratischen Jugendprojekts reden alle wild durcheinander, „was man denn mal so machen könnte“, und der Vorgesetzte lässt alles einfach laufen und schaut desinteressiert aus dem Fenster (oder bearbeitet seine Mails).
Selbstverständlich gibt es Situationen, in denen es in Organisationen „politisch heikel“ wird und Mitarbeiter gut daran tun, sich nicht um Kopf und Kragen zu reden. Und selbstverständlich gibt es Situationen, in denen nur eins der Organisation wirklich weiter hilft – nämlich eine klare Ansage vom Chef. Selbstverständlich ist es wichtig, dass der Leiter das Thema setzt und darauf besteht, dass sich alle Anwesenden auch wirklich damit auseinander setzen.
Aber in den allermeisten Fällen ist nur eins im Interesse des Ganzen: Die besten Ideen zur Lösung eines Problems zu finden. Damit das passiert, muss der Leiter das Spannungsfeld ausbalancieren zwischen einer klaren Fokussierung auf das Thema („Lasst uns zurückkehren zu unserer Kernfrage bleiben…“) und großer Flexibilität, was die geäußerten Meinungen angeht. Wenn alle nur sagen, was der Chef ohnehin denkt – wozu braucht es dann das Meeting?
Es gibt eine Reihe von Gründen, die es einem Leiter schwer machen, dieses Spannungsfeld zu meistern – und die haben oft auch mit einer persönlichen Angst vor Macht- und Kontrollverlust zu tun. Wenn sich ein Leiter in diesem Spannungsfeld weiter entwickeln möchte, ist deshalb zu allererst ein ehrlicher Blick hinter die eigenen Kulissen gefragt. Denn nur wer als Chef in solchen Situationen selbst angstfrei ist, kann Mitarbeiter in einem angstfreien Klima führen.
Und dazu beitragen, dass die besten Ideen siegen.
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