Autoritätstransfer

Ein Minister kann alle Ministerien – wunderst du dich auch manchmal darüber, dass Politiker oft nahtlos von einem Ressort ins andere wechseln – nur weil die Arithmetik der Macht in der Parteienlandschaft es erforderlich macht? Da wechseln Agrarminister zu Verteidigung, Innen zu Außen, Wirtschaft zu Entwicklungshilfe. Wie kann das sein? Nur weil einer in einem Fachgebiet gut ist, heißt das noch lange nicht, dass er es in einem anderen Fachgebiet auch ist – oder?
Doch.
Zumindest denken wir das. Vielleicht nicht bei Politikern – aber sonst ziemlich oft. Ganz ehrlich: Wir alle neigen dazu, Autorität zu überschätzen. Erfolge eines Menschen in einem Lebensbereich auf andere Lebensbereiche zu übertragen. Da wählen Kalifornier einen Österreicher zum Gouverneur, weil er ein erfolgreicher Schauspieler ist. Asta la vista, baby! Die sind verrückt, die Amis, oder?
Nicht nur die Amis – wir alle sind anfällig für diesen „Autotritätstransfer“. Wir verganzheitlichen die Kompetenz eines Menschen: Wer X gut kann, ist doch sicher ein toller Hecht und auch super in Y. Muss aber gar nicht sein.
Dass wir anfällig sind für Autoritätstransfer, ist mir gestern und heute klar geworden, als ich einen Vortrag von Dr. Jürgen Spieß gehört habe, in dem er sich mit dem „Neuen Atheismus“ (der so neu nicht ist) und dem Buch „Gotteswahn“ von Richard Dawkins auseinander gesetzt habe. Dawkins ist ein anerkannter Evolutionsbiologe mit einer ruhmreichen akademischen Laufbahn. Und dann schreibt er ein Buch über Gott, das nie so viel Aufmerksamkeit bekommen hätte, wenn Dawkins kein anerkannter Evolutionsbiologe wäre. Aber ist ein guter Biologe auch ein guter Theologe? Egal – er hat Einfluß, nicht zuletzt weil wir ihm den per Autoritätstransfer einräumen.
Rudolf Augstein, der langjährige Herausgeber des Spiegel, versuchte sich in regelmäßigen Abständen (vorzugsweise zu Ostern und Weihnachten) mit Leitartikeln gegen christliche Grundüberzeugungen. Was ihm an theologischer Sachkompetenz fehlte, machte er in seinen Statements durch Polemik und persönliche Leidenschaft mehr als wett. Wäre Augstein angehender Theologe gewesen – seine Fachkollegen hätten seine Argumentation spielend in der Luft zerrissen. Aber auch hier räumen wir einem verdienten Journalist per Autoritätstransfer Einfluß in einem Fachgebiet ein, in dem er – eigentlich – fast nichts zu sagen hat.
Aber auch im kleinen sind wir alle anfällig für Autoritätstransfer: Nur weil jemand ein mittelständisches Unternehmen leitet, muss er noch lange kein guter Gemeindeleiter sein. Nur weil jemand ausgebildeter Pastor oder Pfarrer ist, muss er noch lange nicht ein intensives Gebetsleben haben. Nur weil jemand ein guter Programmierer ist, muss er noch lange keine IT-Firma leiten können. Das alles kann sein – aber es muss nicht sein.
Dies ist kein Plädoyer für eine überdeutsche Papiergläubigkeit („Weisen Sie erstmal nach, dass Sie darin auch einen Abschluß haben, bevor sie das machen!“). Nur ein klitzekleines Achtung-Schild, dass wir nicht in vorauseilender Begeisterung jemandem Autorität und Einfluß auf einem bestimmten Gebiet zuerkennen, nur weil er in einem ganz anderen Gebiet erfolgreich ist. Widerspruch willkommen!

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  1. Guter Gedanke! Dasselbe fiel mir bei Helmut Schmidt (und Loki) auf. Weil sie so brillante Köpfe sind, hängen die Leute an ihren Lippen und denken, dass sie auch zum Thema Religion Entscheidendes auszusagen hätten. Wobei aber nur herauskam, dass Loki sich eine Art Wiedergeburt als Pflanze vorstellte, während Helmut an keinerlei Leben nach dem Tod glaubt. Doch kraft seiner Autorität klingt das bei ihm wie eine definitive, ultimative Aussage, die (leider) von vielen ernst genommen wird.
    Ich erinnere mich, wie ich als Jugendlicher Bertrand Russells „Warum ich kein Christ bin“ las und damals schon, obwohl ich noch nicht bekehrt war, sehr verwundert und enttäuscht war, wie ein so kluger Mann beim Thema Christentum so plumpe Argumente hervorbringt.

  2. p.s. wobei mir zu Dawkins ein Zitat von John Warwick Montgomery aus seinem Tractatus Logico-Theologicus einfällt:
    „When atheist Richard Dawkins begins his book, The Blind Watchmaker, with the assertion, “Biology is the study of complicated things that give the appearance of having been designed for a purpose,” one is reminded of the old adage, “If it looks like a duck, smells like a duck, quacks like a duck, and tastes like canard à l’orange, chances are it is not a qumquat.”

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