Die Flugbegleiterin

Sehr geehrte Damen und Herren, wir möchten Sie jetzt mit den Sicherheitsvorkehrungen an Bord vertraut machen…“ – während Erstflieger bei dieser Durchsage im Flugzeug sofort einen Adrenalinschub und feuchte Hände bekommen, blicken erfahrene Flugreisende keinen Millimeter von ihrer Zeitung auf. Währenddessen ziehen die Flugbegleiter routiniert ihr Sicherheitsbriefing durch, versuchen dabei nicht allzu gelangweilt auszusehen und sich vor allem nicht in den Schläuchen der „im Fall eines Druckverlusts“ aus der Kabinendecke herabfallenden Sauerstoffmaske zu verheddern.
Aber heute im Flugzeug beim Landeanflug in Wien habe ich etwas neues im ewig gleichen Tanz zwischen Crew und Passagieren beobachtet: Vertieft in meine Zeitschrift (bemüht, die lässig-routinierte Aura eines erfahrenen Vielfliegers auszustrahlen), ließ ich die lächelnde Durchsage der Flugbegleiterin über mich hinwegspülen, während sie sich bei mir ganz persönlich mit zuckersüßer Stimme für die Benutzung ihrer Airline bedankte.
Und dann passierte es: Ich blickte von meiner Zeitschrift auf. Ich schaute nach vorne. Ich sah die Flugbegleiterin, wie sie in den Hörer der Sprechanlage flötete.
Und dabei gähnte.
Mit müdem Gesicht und teilnahmslosen Blick wünschte sie mir dennoch aufs akustisch Allerfreundlichste einen guten Aufenthalt in Wien.
Sind Flugbegleiter in Wahrheit gar nicht so freundlich, wie sie immer tun? Werden Hunderttausende Fluggäste jedes Jahr von einer gigantischen weltweiten Kabinenpersonalverschwörung betrogen?
Sehen wir’s mal pragmatisch: Jemand bemüht sich, nicht danach zu handeln wie er sich fühlt. Sondern so zu handeln, dass ich mich wohl fühle. Das ist nicht unredlich, sondern professionell.
Und ich finde: Es wäre cool, wenn wir das in christlichen Kirchen und Gemeinden Gästen gegenüber auch etwas besser hinkriegen würden.

0 Antwort
  1. Wolfgang

    Also wenn unsere Gottesdienstmoderatoren beim Segen anfangen zu gähnen, dann hätte ich echt ein kleines Problem. Ich hätte ein weiteres Problem, wenn unsere Gottesdienstbesucher mit ihren Zeitschriften im Godi sitzen würden, unangeschnallt. Und nur ab und an den Blick erheben, ob da vorne noch alles mit rechten Dingen zugeht. Allerdings ist es echt professionell, wenn jemand gähnen kann und gleichzeitig so weiterreden, dass keiner merkt, dass du gähnst. Guten Flug!

  2. Michael

    „Heuchelei (Hypokrisie) bezeichnet ein moralisch negativ besetztes Verhalten, bei dem eine Person nach außen hin ein Bild von sich vermittelt, das nicht ihrem realen Selbst entspricht. […] Wesentliche Merkmale der Heuchelei sind das Vortäuschen nicht vorhandener Gefühle oder Gemütszustände sowie das Fordern von Verhaltensformen, die selbst nicht eingehalten werden.“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Heuchelei)

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