Gefahr für den Glauben

Ein Begriff hat in manchen binnenchristlichen Diskussionen in den Kommentarspalten sozialer Netzwerke anscheinend gerade wieder Hochkonjunktur: Irrlehre.
Irrlehre, das meint wahrheitswidrige, manipulative, irreführende Theologie. Behauptungen, die sich gottesfürchtig kleiden aber bei näherem Hinsehen nicht zu Gott führen sondern von ihm weg.
In den frühen christlichen Gemeinden wurde die Gute Nachricht von Jesus Christus noch weitestgehend mündlich weitergegeben. Entsprechend schwierig war die theologische Qualitätssicherung: Die junge Kirche war ständig damit beschäftigt, Unklarheiten und Missverständnisse auszuräumen und Irrlichter unter den Predigern zu neutralisieren. Paulus und die anderen Apostel mussten in ihren Briefen und Predigten nicht selten die ganze geistliche Autorität ihrer Persönlichkeit in die Waagschale werfen, um die ersten Gemeinden inmitten einer bisweilen ausgesprochen feindseligen Umwelt zu stabilisieren.
In dieser Situation war jede wahrheitswidrige, manipulative, irreführende Theologie eine Gefahr für den Glauben ganzer Gemeinschaften von Christen. Deshalb finden wir in den Paulusbriefen viele Warnungen vor „Irrlehre“ (auch wenn das Wort selbst z.B. in der Lutherübersetzung nur ein einziges Mal vorkommt).
So ermahnt Paulus Christen, dass sie sich nicht „von jedem Wind einer Lehre bewegen und umhertreiben lassen durch trügerisches Spiel der Menschen, mit dem sie uns arglistig verführen“ (Epheser 4,14). Oder dass niemand die neuen Christen „einfange durch Philosophie und leeren Trug, gegründet auf die Lehre von Menschen und auf die Mächte der Welt und nicht auf Christus“ (Kolosser 2,8). Und Paulus ist überzeugt, dass „in den letzten Zeiten einige von dem Glauben abfallen werden und verführerischen Geistern und teuflischen Lehren anhängen“ (1. Timotheus 4,1). Eine düstere Prognose.
Mit Blick auf die damalige Situation kann ich verstehen, dass die frühen Gemeinden die theologische Qualitätssicherung nicht auf die leichte Schulter nehmen sollten. Und mit Blick auf das, was die Bibel über die gottfeindliche Realität der unsichtbaren Welt lehrt, bin ich überzeugt, dass Christen Leute sein sollten, die sich hellwach mit geistlichen Überzeugungen aller Couleur auseinander setzen und nicht alles glauben, was vordergründig gottesfürchtig daherkommt.
Was ich aber überhaupt nicht nachvollziehen kann: Dass Christen darüber zu Kleingeistern werden. Ängstlich kauernd, überall Gefahr witternd, ohne Zuversicht, ohne Gelassenheit, ohne Vertrauen und ohne die Fähigkeit zur Differenzierung. Ich finde es verheerend, wenn die Warnung vor dem geistlichen Niedergang zum beherrschenden Narrativ einer christlichen Lebensführung wird.
Hat Jesus Christus  seinen Nachfolgern etwa nicht beigebracht, dass sich ihr Leben nicht um Essen, Trinken und Kleidung zu drehen braucht, denn „euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft“ (Matthäus 6,32)? Ist sich Jesus nicht absolut sicher, dass sogar „die Haare auf eurem Haupt alle gezählt sind. Darum fürchtet euch nicht“ (Lukas 12,7)? Hat Jesus nicht denen, die ihm vertrauen, versprochen: „Mein Vater, der mir sie gegeben hat, ist größer als alles, und niemand kann sie aus des Vaters Hand reißen.“ (Johannes 10,29)?
Ich wüsste darum wirklich nicht, warum  Christen voller Angst durchs Leben gehen sollten, dass sie all das in einem unbedachten Moment durch ein Stück „Irrlehre“ wieder verlieren und verspielen könnten, ohne es zu merken.
Paulus schreibt in 1. Korinther 3, 22-23: „Gegenwärtiges oder Zukünftiges, alles ist euer, ihr aber gehört Christus“ – wenn das stimmt, wie könnten wir da kleingeistig sein? Müssen wir unser Rechthaben wirklich mit Zähnen und Klauen verteidigen?
Jesus hat in Johannes 8,32 versprochen: „Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen“ – wenn das stimmt, wie können wir da unfrei sein, misstrauisch und engstirnig abweichenden Prägungen gegenüber? Trauen wir der Wahrheit Jesu so wenig zu?
Jesus hat seine Leute deutlich zur Zuversicht aufgefordert: „Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“ (Lukas 21,28) – wenn das stimmt, wie können wir dann kritisch und das Schlimmste befürchtend in die Zukunft schauen? Glauben wir so wenig daran, dass Gott am Ende gewinnen wird?
Aus Kleingeistigkeit, verbissenem Rechthaben, Engstirnigkeit, Misstrauen, Lieblosigkeit und Furcht entsteht am Ende ein Leben, das mehr wie die christliche Neuauflage eines Pharisäers scheint als das Leben eines geliebten, begnadigten und befreiten Sünders im Prozess der göttlichen Wiederherstellung.
 
So ein Leben ist ein „Irrleben“ – denn es führt andere in die Irre. Es spiegelt nicht  Gottes Größe und Wahrheit und Freiheit und Allmacht und Schönheit wieder. Es wird nicht in Zuversicht und Hoffnung und im vertrauensvollen Aufsehen auf Jesus Christus gelebt, dem „Anfänger und Vollender des Glaubens“ (Hebräer 12,2). Es zieht andere Menschen nicht zu Jesus, sondern stößt sie von ihm weg.
Ich wünsche mir die gleiche Sensibilität für so ein Irrleben wie für Irrlehre. Denn ich halte beides gleichermaßen für eine Gefahr für den Glauben.

0 Antwort
  1. Johannes

    Danke für dieses befreiende und ehrliche Wort! 🙂 Dabei ist mir ein Lied von Manfred Siebald eingefallen: „Ich wollte dich verteidigen“. Die letzte Strophe lautet: „Herr, Du hast schon lange gesiegt, lange bevor ich begann für Dich zu streiten, Herr, zeige mir dass es genügt andre in Liebe zu Dir zu begleiten!“
    Ja, ich kann gelassen in die Zukunft schauen!

  2. Werner Rekowski

    Dem kann man uneingeschränkt zu stimmen weil es hinreichend unkonkret ist. Selbst die Irrlehrer und Irrleber können das tun, denn es ist unklar wer und was gemeint ist. Also – wenig hilfreich!
    Dennoch bleibt, das die Seligkeit nicht im Vorbeigehen erworben wird sondern der Kampf gegen die Sünde und die Nachfolge durch Glauben und Heiligung unverzichtbar sind.

    1. pixelpastor

      Wer gemeint ist? Wollen Sie eine Namensliste? Ich habe keine, weder im Kopf noch sonstwo. Denn ich finde, Christen sollten erwachsen genug sein, sich selbst zu prüfen. Schauen Sie sich doch einfach die Früchte an, über die ich geschrieben habe.
      Und was Ihren letzten Satz angeht: Ich hatte das Evangelium bisher immer so verstanden, dass Jesus Menschen aus Liebe rettet, weil sie das aus ihrer Sünde heraus nicht selber können. Bei Ihnen klingt das nun so, als müsste des Menschen Frömmigkeit nun doch etwas nachhelfen, weil Jesus alleine nicht reicht… meinten Sie das wirklich so?

  3. Danke, und volle Zustimmung. Ich frage mich des öfteren, wieso manche Leute so – ich nenne es mal – ängstlich gegenüber anderen Meinungen/Auslegungen sind. Wenn der Gott an den wir glauben, tatsächlich so groß ist, wie wir immer sagen, dann gibt es dafür keinerlei Grund.
    Und ich finde solch mangelndes Gottvertrauen auch enorm schade. Denn ich für mich habe es ungemein bereichernd gefunden, mich gerade intensiv mit Positionen auseinanderzusetzen, die ich nicht teile, und zwar nicht polemisch oder abwertend, sondern ergebnisoffen. Dann stellt man nämlich fest, dass man vermutlich selbst auch nicht die Weisheit mit Löffeln gefressen hat…

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