Als Deutsche suchen wir das Mittelmaß. Wir lieben es geradezu. Nicht weil wir persönliche Leistung an sich verachten würden oder persönliches Versagen besonders hassen. Nein, der tiefste Grund ist unser übersteigertes Sicherheitsbedürfnis. Auch was geistliche Leitung angeht.
Das Mittelmaß gibt Sicherheit, denn man ist statistisch von der Masse umgeben. Das Mittelmaß gibt Sicherheit, denn man muss kein großes Risiko eingehen und ist keinem großem Risiko ausgeliefert. Das Mittelmaß gibt Sicherheit, denn man kann „man“ sein. Das tun was alle tun. So leiten wie alle leiten.
Ich glaube: Mit dem Mittelmaß wollen wir uns unbewusst auch vor der Einmischung, dem Anspruch und der Kritik Gottes schützen. Unser Gottesbild und unsere Schulerfahrung spielen da zusammen: Hat nicht auch der Lehrer früher immer besonders auf die Klassenversager und auf die Streber geachtet? Das Mittelmaß gibt Sicherheit, weil es unsichtbar macht.
Und gleichzeitig schlägt in Männern und Frauen, die tatsächlich eine geistliche Leitungsbegabung haben, zutiefst der Wunsch danach von Gott gesehen zu werden. Von ihm ergriffen, gebraucht, herausgefordert zu werden. Teil zu sein von der atemberaubenden Gottesgeschichte mit seinen Menschen und etwas zu bewirken.
Aber das geht nicht im Mittelmaß.
Mich ermutigt die Geschichte des alttestamentlichen Königs Josia, für die Nachwelt aufgezeichnet in 2. Chronik 35. Josia wird dort geschildert als ein mutiger Reformer, der sich traut, eine umfassende geistige Erneuerung in seinem Volk, in den Gottesdiensten im Tempel und in seinem eigenen Leben durchzuziehen. Teil davon ist die Reform des Passafestes, das eigentlich die dankbare Erinnerung an die Befreiung aus Ägypten im Volk wachhalten sollte. Inzwischen waren die geistigen Wurzeln des Festes aber völlig verdrängt und in den Hintergrund geraten (muss jemand an Ostern denken?). Von Josua heißt es an iner Stelle:
„Kein König in Israel hatte das Passa so gehalten, wie Josia Passa hielt.“ (2. Chronik 35, 18)
„Ich komme jetzt nicht gegen dich, sondern gegen das Königreich, mit dem ich Krieg habe, und Gott hat gesagt, ich soll eilen. Vergreif dich nicht an Gott, der mit mir ist, dass er dich nicht verderbe!“ (2. Chronik 35, 21)
Aber Josia glaubt Necho wohl nicht, dass auch der Andere, der Ägypter, der Heide, Teil von Gottes Plan sein könnte. Dass auch ein Anderer geistliche Erkenntnis haben kann, die Josia selbst entgeht. Er riskiert die Konfrontation trotzdem – und verliert den Kampf, seine Königsherrschaft und sein letztlich Leben.
„Herr, lass mich mutig erkennen, zu welchen geistlichen Risiken du mich in dieser Zeit und an diesem Ort herausforderst und berufen hast. Gib mir Mut auch Dinge zu tun, die niemand von meinen Vorbildern getan hat. Aber lass mich auch jederzeit demütig damit rechnen, dass andere genau so nahe dran sind an deinen Plänen und an deinen Zielen.“
Vielleicht ist neben diesem Gebet mal eine ehrliche Bestandaufnahme dran:
Wo lebe ich als Leiter gegenwärtig im Mittelmaß?
Und:
Will ich raus?
Find‘ ich gut, kein Mittelmaß zu wollen. Und da Du auch von den Risiken sprichst: Wie verhindert man in unseren exezellenzverliebten Zeiten, dass man mit der Maxime direkt in den Burnout steuert?
@Peter: Gute Frage. Deshalb habe ich auch nicht über „Leistung“ oder „Exzellenz“ geschrieben, sondern über geistlichen Mut. Denke das ist das, was Josia ausgezeichnet hat. Und das ist das, was wir brauchen.
Interessanter Beitrag zum Thema Burnout:
http://www.erf.de/index.php?node=2270-542-3984&fpc=547-2586
Ich finde die Geschichte klasse, aber den Rahmen mit dem „Mittelmaß“ gerade für einen Mittelmäßigen geradezu diskriminierend. Ich finde es auch befreiend, zu meiner Mittelmäßigkeit zu stehen und Gott damit wirken zu lassen. Verliert Josia nicht gerade Thron und Leben, weil er sich überschätzt?
@Jordanus: Mir ging es gerade nicht um die Mittelmäßigkeit der eigenen Fähigkeiten (willkommen im Club – da sitzen wir tatsächlich alle im gleichen Boot!), sondern um das Mittelmaß unserer geistlichen Erwartungen und Sehnsüchte. Um das Mittelmaß dessen, was wir Gott für unser Leben zutrauen. Also: Lasst uns zu unseren eigenen, menschlichen Mittelmäßigkeiten stehen – aber lasst uns Gott vertrauen, daraus für sein Reich und für seine Ziele etwas in seinen Augen Herausragendes zu schaffen!