Für manche Menschen sind Spannungen etwas Negatives: Spannungen zerren in zwei entgegen gesetzte Richtungen, sie proudzieren häufig innere Konflikte, sie machen es einem unmöglich, es allen Recht zu machen. Wäre es nicht besser, man würde solche Spannungen ein für alle Mal auflösen? Dabei ist das ganze Leben durchdrungen von Spannungen. Spannungen erzeugen Energie, Spannungen stellen uns vor wichtige Fragen, Spannungen helfen nicht zu vergessen, dass es nicht in allen Fragen um Schwarz oder Weiß geht – sondern oft um das richtige Maß an Grau.
Das gilt besonders auch für Personen in Leitungsverantwortung: Je höher die Ebene der Verantwortung, desto komplexer sind oft die Zusammenhänge, und desto öfter findet man sich selbst als Leiter in Spannungsfeldern wieder und vor die Frage gestellt: Wie ist das richtige Maß? Dieser Post ist die erste Folge einer sechsteiligen Reihe, die sich mit diesem Thema auseinander setzt. Die genannten Spannungsfelder gehen zurück auf Empfehlungen von Michael Watkins, und das erste lautet:
Sei anspruchsvoll, aber lass dich zufrieden stellen
Auf der einen Seite gehört das auch zur Leitungsverantwortung: Bei allem Charme von Basisdemokratie und Schwarmintelligenz zeigt die Erfahrung der Menschheitsgeschichte, dass Gruppen von Menschen selten dazu tendieren, sich selbst die Latte höher zu legen, sich auf längere Zeit auf dem Weg zu einem Ziel etwas abzuverlangen, Unbequemes in Kauf zu nehmen um etwas wichtiges zu erreichen. Da, wo diese Dinge geschehen, gibt es in der Regel Einzelne, die Andere inspirieren, herausfordern, mit einem Anspruch konfrontieren der höher ist als die gegenwärtige Realität. Ein Chef, der nie etwas von mir verlangt, mag auf den ersten Blick bequem sein. Aber auf lange Sicht wird er mich nicht inspirieren, meine Arbeit wird vor sich hin dümpeln, und ich werde mich nicht weiter entwickeln in mein volles Potential hinein, zu dem ich als Mitarbeiter eigentlich fähig wäre. Das ist ein bisschen wie in der Schulzeit: Die Lehrer ohne Anspruch waren damals die Lieblinge – dankbar ist man im Rückblick den anderen.
Auf der anderen Seite des Spannungsfeldes gibt es die Chefs, die immer nur Ansprüche haben: Noch schneller, noch höher, noch weiter. Kurz nachdem die Mannschaft ein Großprojekt in einem Kraftakt zum Abschluß gebracht hat, wird das nächste, noch größere Ziel ausgerufen. Keine Zeit zum Durchatmen, keine Zeit zum Feiern, keine Zeit zum Nachdenken. Wer sich nie zufriedenstellen läßt, errichtet ein Regime der Unberechenbarkeit oder gar der Angst. Je nach ihrer Persönlichkeit resignieren Mitarbeiter entweder, weil es ohnehin nie genug ist. Oder sie brennen aus, weil sie bis zum Anschlag versuchen, ihren Chef endlich zufrieden zu stellen. Wer nur Ansprüche stellt, lacht zu wenig, lobt zu wenig, lebt zu wenig. Er bzw. sie bekommt vielleicht den Gehorsam seiner Mitarbeiter – aber nicht ihre Motivation, ihre ehrliche Kritik und ihre kreativsten Ideen. Ich kenne kein Umfeld, in dem man auf Dauer auf diese Dinge verzichten kann, ohne dass daraus ein Risiko für die Organisation erwächst.
Gute Leiterschaft braucht eben beide Seiten dieses Spannungsfeldes: Je nach Situation und dem „Biorhythmus“ einer Organisation tritt mal das eine in den Vordergrund und mal das andere. Wenn du als Leiter an deine aktuelle Situation denkst – wo agierst du zur Zeit in diesem Spannungsfeld? In welche Richtung solltest du deinen Schwerpunkt verschieben?
[…] Anspruch […]
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