Survivorship Bias

Im zweiten Weltkrieg analysierte die US Army die Beschädigungen von Flugzeugen, die aus ihren Kampfeinsätzen zurückkehrten. Die Analytiker stellten fest, dass bestimmte Bereiche (besonders die Flügel und den Rumpf) oft Treffer aufwiesen, während andere Stellen (z. B. das Cockpit oder die Triebwerke) seltener beschädigt waren.

Für viele Offiziere lag die Idee sofort auf der Hand, wie man darauf reagieren müsste. Wäre es nicht am besten, genau diese oft getroffenen Stellen zu verstärken, um die Wahrscheinlichkeit zu maximieren, dass die Piloten den Kampfeinsatz überleben und die Flugzeuge zurückkehren würden?

Der ungarisch-amerikanische Mathematiker Abraham Wald war genau entgegengesetzter Meinung: Waren nicht die analysierten Flugzeuge diejenigen, die trotz der Treffer zurückgekommen waren? Und da das Feuer der Flugabwehr die Flugzeuge vermutlich an allen Stellen gleich wahrscheinlich trafen, mussten die übrigen, nicht zurückgekehrten Flugzeuge genau an den Stellen getroffen worden sein, die bei den zurückgekehrten Flugzeugen heil geblieben waren. Seine Lösungsidee: Man sollte nicht Stellen verstärken, die bei den zurückgekehrten Flugzeugen oft getroffen worden waren – sondern genau die Bereiche schützen, die wenige Treffer aufwiesen.

Ein klassischer Fall von Survivorship Bias – ein kognitiver Denkfehler, bei dem wir uns nur auf die überlebenden oder erfolgreichen Fälle konzentrieren und dabei die unsichtbaren, gescheiterten Fälle ignorieren. Und ein Fall, in dem sich die Analytiker zu früh auf ihre erste Idee fixiert hatten („Verstärken, wo wir Treffer sehen“), anstatt das Problem besser zu verstehen und die Lösungidee erst einmal lose und flexibel zu halten.

Für mich stecken für mich zwei Lektionen in der Geschichte von Abraham Wald:

  1. Liebe nicht deine Idee, sondern dein Problem. Versuche, das Problem fest im Blick zu behalten, während du es besser kennen lernst und verschiedene Lösungen ausprobierst. Und versuche, deine Ideen dabei lose und flexibel zu handhaben. Vielleicht wirst du unterwegs feststellen, dass deine erste Idee nicht funktioniert (oder sogar gar genau der falsche Ansatz ist – wie bei den Analysten der US Army). Gut, wenn du dann deine Idee verändern kannst, um dein Problem am Ende tatsächlich zu lösen.
  2. Vorsicht vor Survivorship Bias. Die meisten Erfolgsgeschichten haben nicht so begonnen, wie sie uns heute begegnen. Wer heute auf der Bühne steht oder Bücher schreibt, hat seine Idee unterwegs sicher mehrfach ändern, anpassen, manchmal sogar umwerfen müssen, um am Ende ein Problem so erfolgreich zu lösen, dass du er oder sie dort steht, wo er oder sie heute steht. Und viele andere, denen diese Reise nicht gelungen ist, siehst du gar nicht erst. Kopiere also nicht scheinbar erfolgreiche Methoden, die du heute an anderen siehst – sondern lerne von dem, was sie unterwegs erlebt haben.

Eine eigene Idee zu verwirklichen, selbst einen Weg zu gehen – das ist immer ein Flug ins Ungewisse.

(Text zuerst veröffentlicht im sinnkubator Newsletter)

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