„Ich sehe was, was du nicht siehst…“ – fast jedes Kind in Deutschland dürfte mit diesem Ratespiel aufgewachsen sein. Und fast alle Eltern dürften in den letzten Jahren Autofahrten, Bahnreisen und stundelange Wartezeiten beim Kinderarzt damit für ihren Nachwuchs zu verkürzen gesucht haben. Ich sehe was, was du nicht siehst – du siehst das „was“ nicht deshalb nicht, weil „du“ blind wärst. Sondern weil das „was“ Teil der normalen Umgebung ist. Verschmolzen mit dem Alltag. Der (blaue Vorhang), das (gelbe Buch) oder der (rote Aufkleber) fühlen sich so normal an, dass man ohne Feedback seines Gegenübers („warm – wärmer – kalt – ganz kalt“) keine Chance hätte, den richtigen Gegenstand zu finden.
Ich sehe was, was du nicht siehst – das gilt oft auch für die eigenen verborgenen Gaben, nur umgekehrt: Da sehen andere Stärken und Begabungen in einem Menschen, die der selbst niemals als solche empfunden hätte („wieso, das ist doch normal?“). „Ich sehe etwas nicht, was du vielleicht sehen kannst.“ Eigentlich ist es ganz logisch: Wenn ich etwas richtig gut kann, wird mir das so in Fleisch und Blut übergegangen sein, dass ich es völlig normal finde, das zu können. Und was ich völlig normal finde, kann doch keine Stärke sein, oder?
Falsch.
Manchmal sind es gerade die Dinge, die ich völlig normal finde, die mich deutlich unterscheiden von den Stärken anderer. Aber sie bleiben für mich als Stärke unsichtbar, gerade weil es sich so normal anfühlt. Was zur Folge hat, dass ich diese Stärken nicht bewusst einsetze. Nicht bewusst in sie investiere. Nicht bewusst darin wachse. Wenn ich über die Fähigkeiten hinwegsehe und hinweggehe, die sich für mich völlig normal anfühlen, ist es nicht unwahrscheinlich, dass ich eigene Stärken übersehe.
Der Ausweg?
So wie ich beim Ratespiel „Ich sehe was, was du nicht siehst“ auf das Feedback des Gegenübers angewiesen bin, um den scheinbar unsichtbaren Dingen auf die Spur zu kommen, brauche ich auch bei der Stärkensuche Feedback. „Welche drei Dinge siehst du, die ich besonders gut kann?“ wäre doch schon mal eine ganz gute Anfangsfrage. Und was dann angesagt ist, ist vor allem allem Zuhören. Und akzeptieren, dass hinter der scheinbaren Normalität etwas steckt, was mir als Stärke gegeben worden ist. Etwas, das ich einsetzen darf und kann und soll für andere.
„Ich sehe etwas nicht, was du vielleicht sehen kannst…“ – Wen wirst du fragen?