Corona und die Digitalisierung – ein Weckruf

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Deutschland ist wütend, weil wir zu langsam sind in der Bekämpfung der Corona-Pandemie. Einer der Gründe: Die mangelnde Digitalisierung.  Bei der Verwaltung von Impfterminen. Bei der Nachverfolgung von Infektionsketten. Beim Schulunterricht. Bei der Datenübermittlung zwischen den Gesundheitsämtern.

Warum ist das so?

Mein These: Im Kern kommt dieses Nicht-Können vom Eigentlich-Nicht-Wollen. Wir können wenig Digitalisierung, weil wir – in der gesellschaftlichen Gesamtmeinungsbildung – in Wahrheit wenig Digitalisierung wollen.

Solange es nicht gerade um den eigenen Impftermin, das Home Schooling der eigenen Kinder oder die Warnung vor dem eigenen Infektionsrisiko geht, steht kaum eine moderne Industriegesellschaft der Digitalisierung so kritisch gegenüber wie wir. Hat nicht die Bundeskanzlerin des Exportweltmeisters Deutschland das Internet noch 2013 als „Neuland“ bezeichnet? Sind wir nicht auch ohne Digitalisierung glücklich, erfolgreich und wohlhabend geworden? Haben wir nicht auch ohne Digitalisierung ein Bildungssystem, führende Weltkonzerne und eine Verwaltung aufgebaut, um die uns die Welt beneidet?

Ja, aber das war die Vergangenheit. Sie ist vorbei. Wer heute lernen will, wie moderne Bildung funktioniert, oder wie man ein IT-Unternehmen startet, oder wie man eine Verwaltung serviceorientiert aufstellt ohne dass sie am Datenschutz erstickt – der blickt nicht nach Deutschland.

Und es ist ja nicht so, dass wir die Fallstricke der Digitalisierung einfach nur besser durchschaut hätten als die meisten anderen Länder. Das unser Mahnen und Warnen auf einer überlegenen Erkenntnis der Wirklichkeit beruht. Das Gegenteil ist der Fall: Wir haben zu wenig akzeptiert, wohin der Zug in Zukunft fahren wird. Und wir haben Angst.

Das ist übrigens nichts neues. Schon 1492 warnte der deutsche Gelehrte Johannes von Trittenheim in seiner Schrift De laude scriptorum manualium seine Zeitgenossen vor dem aufkommenden Buchdruck:

Wer wüsste nicht, welcher Unterschied zwischen Handschrift und Druck besteht? Die Schrift, wenn sie auf Pergament geschrieben wird, vermag tausend Jahre zu überdauern; wie lange wird aber der Druck, der ja vom Papier abhängt, Bestand haben? Wenn ein Papierkodex 200 Jahre überdauert, ist das viel; gleichwohl glauben viele, ihre Texte dem Druck anvertrauen zu müssen. Hierüber wird die Nachwelt befinden.

Und 1900 instruierte der preußische Justizminister sämtliche Notare in seinem Geschäftsbereich:

Nach den Berichten mehrer Oberlandesgerichtspräsidenten benutzen einzelne Notare zur Herstellung der Ausfertigungen von ihnen aufgenommener Urkunden die Schreibmaschine … sodann aber haben eingehende, in der Geheimen Kanzlei des Justizministeriums angestellte Versuche dargethan, dass die Gefahr der Verfälschung bei den mit der Schreibmaschine hergestellten Schriftstücken sehr viel größer ist, als bei der handschriftlichen Herstellung … die Notare werden daher ersucht, sich … des Gebrauchs der Schreibmaschine zu enthalten.

Und so geht es weiter… bis heute.

Dabei ist es nicht gar nicht schlimm, Angst zu haben. Das ist menschlich. Aber wenn eine ganze Gesellschaft ihre Angst in beleidigte Passivität oder moralische Überheblichkeit kleidet, dann weicht sie der Herausforderung kurzfristig aus – und nimmt sich für eine langfristig erfolgreiche Entwicklung selbst aus dem Spiel.

Wie kann das besser werden?

  1. Indem wir dem Beleidigtsein widerstehen und der Versuchung, uns eingeschnappt und mit verschränkten Armen auf den beträchtlichen Stapel unserer Erfolge der Vergangenheit zurückzuziehen.
  2. Indem wir der Arroganz widerstehen, es besser zu wissen als andere Länder und zu meinen, wir könnten im weltweiten Wettstreit um Ideen als moralisch überlegener Linienrichter von der Seitenauslinie aus beiwohnen.
  3. Indem wir der Selbsttäuschung widerstehen, wir müssten nichts dazulernen, nicht umdenken, und unsere Verwaltung, Schulen, und ja – auch Kirchen – im Zuge der Digitalisierung neu und anders denken als wir das bisher getan haben.

Wenn unsere Gesellschaft bei der Digitalisierung künftig nicht dramatisch mehr Energie und Erfindergeist entfaltet als beim Thema Datenschutz, wird es nicht besser werden. Die Zukunft wird weder am Ecktisch der Beleidigten noch auf dem hohen Ross der Besserwisserei errungen.

Nutzen wir die Corona-Pandemie als Weckruf und als Hebelmoment für die Digitalisierung, um unsere Haltung und unsere Lernbereitschaft auf eine grundlegend neue und zukunftsorientierte Flugbahn zu bringen?

5 Antworten
  1. Marcel Noa

    Hab es zweimal gelesen. Scheint wirklich nichts mit Glaube zu tun zu haben. Vielleicht bestenfalls der Glaube an den jeweiligen Fortschritt. Das jedoch ist zumindest zweifelhaft. Keineswegs ist dabei die Argumentation generell falsch. Erinnern wir uns an die Debatte über die Haltbarkeit verschiedener Datenträger. Jedoch liebe ich gute alte und neue Schallplatten. Die Cover. Den Moment des Aufsetzen der Nadel. Und das obwohl ich digitale Mediatheken mit Millionen von Songs nutzen kann. Es muss eben nicht alles immer nur schnell verfügbar sein. Es kommt auch auf die Seele an, die in den Dingen wohnt.

    1. pixelpastor

      Hat auch niemand behauptet oder gefordert, dass mein Text „etwas mit Glaube zu tun hat“. Das hat dein Zahnarzt auch nicht, trotzdem gehst du hin 😉

        1. pixelpastor

          Dann hast du einen schlechten Überblick über das Themenspektrum in meinem Blog. Ich schreibe geistliche Impulse genauso wie zu gesellschaftlichen, Leiterschafts-, Digitalisierungs- und Medienthemen. Steht dir ja frei zu entscheiden, was davon du lesen willst und was nicht.

  2. Ulrich Hoffmann

    Ich singe derweil ein Lied von „Judas Priest“ – „And I’m heading to the highway, I’ve got nothing left to loose, there is nothing left to loose“ (in einer tiefen Stimme gesungen, das letzte „there is nothging left to loose“ mit etwas Verzögerung anhängen.

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