Corona und die Medien

„Die Mainstream-Medien schüren nur Angst!“ – „Die Corona-Politik der Bundesregierung unkritisch gutgeheißen!“ „Nur auf dem Youtube-Kanal XYZ erfährst du die Wahrheit!“ – die Corona-Krise ist stellt ganz offensichtlich nicht nur eine gesundheitspolitische und eine wirtschaftliche Herausforderung dar, sondern auch eine mediale.

Es ist ja wahr, dass Medienschaffende der Herausforderung einer sauberen, kritischen und reflektierten Auseinandersetzung mit „Corona“ nicht immer und nicht alle gerecht werden. Ich meine Interviews, die den am dramatischsten wirkenden Satz zur Überschrift erheben („Das Virus ist doch schon überall“ – Spiegel Online). Ich meine Überschriften, bei denen der Aufmerksamkeitswert wichtiger scheint als die gebotene Nüchternheit („Wöchentliche Neuinfektionen nehmen enorme Ausmaße an“ – Focus). Ich meine Beiträge, die mit Nachrichtenwert Null auf der Welle der Corona-Krise surfen („Warum Coronaviren auf australischem Geld länger überleben als auf deutschem“ – Welt Online).

Wenn Kritiker der deutschen Corona-Politik Medien „gezielte Panikmache“ zur bewussten „Einschüchterung der Bevölkerung“ vorwerfen, ist das eine maßlose Unterstellung, die vor allem Unkenntnis darüber offenbart, wie Medien funktionieren. Aber ein bisschen schwerer könnten es Medienschaffende diesen Kritikern schon machen.

Und dann gibt es noch eine zweite, tieferliegende mediale Herausforderung in der Corona-Krise. Eine Herausforderung, die nach meiner Wahrnehmung bislang kaum deutlich benannt wurde:

Wie soll Krisenkommunikation in einer pluralistischen und föderalen Gesellschafts- und Medienordnung funktionieren?

Die Frage klingt einfach, aber sie hat es in sich, betrachtet man die Eckpfeiler erfolgreicher Krisenkommunikation:

  • Alles gehört von Anfang an auf den Tisch
  • So viel Transparenz wie möglich schaffen
  • Berechenbar und konsequent handeln
  • Mit einer Stimme sprechen, klar und konsistent kommunizieren
  • Reaktionen und Rückfragen ermöglichen

Und da zeigt sich die Corona-Pandemie als schwieriger Fall:

  • Am Anfang waren kaum Fakten über das Virus und seine Ausbreitung bekannt, selbst heute baut sich die wissenschaftliche Datenbasis immer noch weiter auf.
  • Bei zunehmendem Erkenntnisgewinn und einem dynamischen Pandemiegeschehen ist Berechenbarkeit und Konsequenz im Handeln fast unmöglich, mindestens aber unsichtbar. Selbst wenn niemand jemals einen Fehler machen würde, müsste immer wieder umgesteuert und nachjustiert werden.
  • Klar und konsistent mit einer Stimme sprechen ist für einzelne Verantwortungsträger möglich, für Verantwortungsträger in einem föderalen System äußerst schwierig, und kann in der Öffentlichkeit einer pluralen Gesellschaft mit ziemlicher Sicherheit nie als klar und konsistent wahrgenommen werden.
  • Reaktionen und Rückfragen sind in einer repräsentativen Demokratie nur indirekt und stellvertretend möglich – durch die Opposition im Parlament oder durch Interviews und Pressekonferenzen.

Auf welchem Weg soll denn eine Bundesregierung die Bevölkerung in einer Gefahrensituation informieren, wenn es aus guten Gründen keinen Staatsrundfunk gibt, keine staatlich gelenkte Presse, und kaum einer den Bundesanzeiger liest?

Wie sollen Medien mit der Doppelrolle umgehen, in staatsbürgerlicher Verantwortung die Krisenkommunikation der Regierung weiterzuleiten, und sie gleichzeitig für ihr Handeln zu hinterfragen und zu kritisieren?

Wie soll eine wünschenswerte öffentliche Debatte über die besten Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung im medialen Raum organisiert werden, ohne Menschen weiter zu verunsichern und in Gefahr zu bringen, weil sie nicht mehr wissen, nach welcher der vielen geäußerten Meinungen und Überzeugungen sie sich nun im Alltag richten sollen?

Fragen, zu denen bisher weder mediale Dramatisierung noch verschwörungsdenkengefährdete Medienkritiker einen hilfreichen Beitrag geleistet haben. Dabei würde es sich lohnen, Antworten auf diese Fragen zu finden, die auf dem Boden unserer freiheitlichen Grundordnung tragfähig sind.

4 Antworten
  1. Norbert

    Ist das nicht auch die Konsequenz des „immer höher, immer schneller, immer mehr, immer weiter“? Wer nimmt sich denn noch Zeit (haben tun wir sie alle), die vermeintlichen Fakten zu hinterfragen und zu bedenken und sich eine eigene und keine Mainstream—Meinung zu bilden? Manchmal denke ich, dass ein „Reset-Button“ unserem menschlichen Gehirn ganz gut täte, um aus diesem Kreislauf auszubrechen.

    1. pixelpastor

      Hallo Norbert, ich glaube, heute hat niemand die Möglichkeiten, die Fakten der Informationsflut zu überprüfen. Das war früher aber nicht anders
      – das ganze Leben besteht daraus, Dinge zu akzeptieren, die man selbst nicht überprüft hat. Oder lässt du dir von jedem Busfahrer den Führerschein zeigen, in dessen Bus du steigst?

      Deshalb verstehe ich nicht, wieso „Mainstream“ ein negativer Begriff sein soll. Wir alle leben zu über 90% in einem „Mainstream“, und davon profitieren wir auch.

      Kann es aber sein, dass manche der Illusion aufsitzen, sie könnten (müssten) alles überprüfen, nur weil es im Internet Informationen zu allem und jedem gibt? Ich glaube, DAS ist mit Sicherheit eine Überforderung…

  2. Martin Loose

    Es gibt eben auch noch andere Stimmen zur Gesundheit, auch letzte Woche in Wetzlar (Link), sollte man die nicht auch anhören und publizieren?

    1. pixelpastor

      Natürlich, es gibt zu jedem Thema ziemlich viele Stimmen, und die werden ja auch publiziert. Aber nicht von jedem, und das muss auch nicht sein. Denn nicht alle Stimmen sind nur aufgrund ihrer Existenz automatisch gleich richtig, gleich wichtig oder mit dem gleichen Anspruch auf öffentliche Sichtbarkeit. Und nicht jeder Stimme da draußen will ich folgen.

      Plakatives Beispiel: Es gibt Leute, die tatsächlich behaupten, die Erde sei eine Scheibe (mit Youtube-Links). Müssen diese Stimmen „auch angehört und publiziert werden“? Ganz klar nein: In jeder Gesellschaft gibt es einen Sortiermechanismus für „wesentlich und wichtig“ versus „randständige Einzelmeinung“. Dieser Mechanismus ist sicher nicht fehlerfrei und schützt nicht zu 100% vor Manipulation, aber er ist die einzige Art, in einer Welt zu leben, deren Fakten ein einzelner Mensch unmöglich alle selbst überprüfen kann.

      Man kann das, was eine große informierte Mehrheit für wesentlich und wichtig hält, als „Mainstream“ bezeichnen und ablehnen – aber ich finde es in keiner Weise überzeugend, stattdessen einigen wenigen Stimmen Glauben zu schenken, deren Glaubwürdigkeit man selber nicht überprüfen kann, die keinerlei Mandat dafür bekommen haben und im übrigen keinerlei Verantwortung für das Allgemeinwohl tragen und auch nicht zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn sie sich irren und Menschen darunter leiden, dass sie ihnen gefolgt sind.

      So sehe ich das.

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