Co-Creator’s Dilemma

Was haben Firmen wie Kodak, Nokia oder Blackberry gemeinsam? Sie alle sind Opfer des Innovator’s Dilemma geworden.

Dieser bekannte Begriff aus der Organisationsentwicklung beschreibt, wie erfolgreiche Unternehmen durch disruptive Innovationen von neuen Marktteilnehmern verdrängt werden, weil sie zu lange an ihren bestehenden, profitablen Geschäftsmodellen festhalten und neue Technologien oder Geschäftsmodelle nicht rechtzeitig adaptieren.

Und das betrifft nicht nur Unternehmen und ihre Produkte, sondern auch ganze Gesellschaften. So einige strukturelle Probleme in Deutschland lassen sich darauf zurückführen, dass wir uns zu lange ausgeruht haben auf Erfolgen der Vergangenheit, von der Automobilindustrie über das  Telefonnetz bis zur öffentlichen Verwaltung. Es funktioniert so gut, dass es keinen Veränderungsdruck gibt. Keinen Grund, etwas zu ändern. So lange, bis es auf einmal nicht mehr funktioniert – und dann ist oft die Verwunderung groß, warum man sich nicht schon viel früher mit notwendigen Veränderungen auseinander gesetzt hat.

Die Antwort nach dem Innovator’s Dilemma: Weil es zu lange anscheinend nicht nötig war. Weil man dran gewöhnt war, es besser zu haben als die meisten anderen. Das kann Unternehmen passieren, das kann Gesellschaften passieren, und natürlich kann das auch christlichen Kirchen und Gemeinden passieren.

Aber ich glaube, dass christlichen Kirchen und Gemeinden nicht nur in Gefahr stehen, Opfer des Innovator’s Dilemma zu werden – es gibt aufgrund individueller und kollektiver Glaubenserfahrungen in diesen christlichen Kirchen und Gemeinden noch ein weiteres, ähnliches Phänomen: Das Co-Creator’s Dilemma. Das ist (noch) kein bekannter Begriff aus der Organisationsentwicklung; den habe ich mir selber ausgedacht. Und der geht so:

Gott ist der Schöpfer, der Creator. Er verleiht dem Menschen Würde und die Fähigkeit, im Auftrag dieses seines Schöpfers ebenfalls kreativ und schöpferisch tätig zu werden. Die Welt zu bebauen und zu bewahren. Oder – als Christen – Salz und Licht zu sein in dieser Welt. Und dabei immer wieder zu erleben: Gott ist immer noch in seiner Schöpfung aktiv. Gott ist durch seine Menschen aktiv. Christinnen und Christen sind nicht nur Teil der Schöpfung – sie sind immer wieder auch Mit-Schöpfer von etwas Neuem, das Gott tut. Co-Creation, nennt man das auf neudeutschtheologisch. Wer Gott vertraut, und mit Jesus unterwegs ist, wer Glaubenserfahrungen macht und sich in Gemeinde und Kirche haupt- oder ehrenamtlich engagiert, der bzw. die ist Co-Creator.

Zu spüren, wie Gott mein kleines menschliches Handeln in sein großes göttliches Handeln einbezieht – das ist eine grandiose Erfahrung. Eine Erfahrung, die demütig macht, die erfüllt, die unfassbar sinnstiftend und motivierend wirkt.

Und gleichzeitig auch eine ein bisschen gefährliche Erfahrung.

So wie der Unternehmenserfolg von Kodak, Nokia oder Blackberry dazu führen kann, sich auf dem Status Quo auszuruhen, sich auf gut gehende Geschäftsfelder zu beschränken und alternative, neue Produktideen gedanklich abzuwerten und abzuwehren – so kann auch das Erlebnis von erfüllender Co-Creation mit Gott dazu führen, Gottes Wirken gedanklich auf diese Art von Erlebnissen zu beschränken. Alternative, neue Ansätze und Experimente auf dem weiteren Glaubensweg gedanklich abzuwerten und abzuwehren.

Und am Ende an dem Neuen vorbei zu leben, was Gott vielleicht für dich, deinen Glaubensweg, deine Kirche oder Gemeinde im Sinn gehabt hätte.

Ich glaube, den Pharisäern im Neuen Testament ist das passiert. Den Jüngern von Jesus, die Heilungen und Wunder in Kapernaum miterlebt hatten, ist das passiert. Petrus ist das immer wieder passiert, aber er hat auch immer wieder die Kurve gekriegt. Paulus ist das zunächst passiert (und er brauchte ironischerweise drei Tage Blindheit, um es einzusehen). Vielen Kirchen und theologischen Strömungen der Kirchengeschichte ist das passiert. Und vielen heutigen Gemeinden, Verbänden bis hin zu ganzen Landeskirchen kann das passieren. Ich fürchte, mir kann das auch passieren.

Wer eine gute Zukunft für die Kirche sucht, darf das Co-Creator’s Dilemma nicht außer Acht lassen. Wenn ich begeistert bin von dem, was ich mit Gott in einer bestimmten Veranstaltung, an einem bestimmten Ort oder auf eine bestimmte Art und Weise erlebt habe, will ich mich von Herzen daran freuen. Aber es nicht zum Muster machen, wie die Zukunft zu sein hat, während das begeisternde Erlebnis langsam zur Vergangenheit wird.

Denn ich bin maximal Co-Creator – der Creator ist Gott selbst. Und der kann immer auch ganz anders.

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