Wo soll das noch hinführen?

Ich habe noch nie von Charlie Kirk gehört. Bis letzte Woche. Bis er bei einer Veranstaltung an einer Universität im US-Bundesstaat Utah von von einem Schützen mit einem Schuss in den Hals getötet wurde. Seitdem kommt man in sozialen und anderen Medien kaum mehr an diesem Attentat und dem politischen und medialen Fallout vorbei, auch hierzulande nicht.

Die vielen Äußerungen zum Attentat, zur Person und Leben von Charlie Kirk und dem kulturkämpferischen Resonanzraum drumherum lassen nur wenig Raum zur zwischenmenschlichen Trauer und zur Mahnung zur Besonnenheit. Binnen Stunden steigen sie alle ein in den Kampf um die Deutungshoheit, schlagen sie alle ein auf die, die irgendwie schon immer der Feind waren. Massiv, aber noch nicht mit physischer Gewalt. Wenigstens noch nicht.

Da wird ein vielschichtiger Typ wie Kirk von den einen öffentlich betrauert „als aufrechter Christ“, der doch „nur seine Meinung sagen wollte“. Andere suggerieren mit kaum unverhohlener Genugtuung süffisant, der Verfechter des Rechtes auf freien Waffenbesitz habe „nur den Sturm geerntet“, wo er jahrelang Wind gesät habe. Wieder andere feiern den Tod des ihnen verhassten Aktivisten als Sieg der eigenen Sache. Fieberhaft wird da auf allen Seiten gelabelt und geframt: „erzkonservativ“ und „christlich-nationalistisch“ sei er gewesen, ein „Hassredner“. Auf der anderen Seite: Ein schlichter „Familienvater“, „Patriot“, gar ein „Märtyrer“.

Der kurze Moment, an dem der Mord an Kirk, dem Gründer von „Turning Point USA“, zu einem wirklichen Wendepunkt und einer Wegmarke der Versöhnung in der zunehmenden Polarisierung hätte werden können – er ist vorbei. Zu viele glauben, zu viel gewinnen zu können, indem sie das Opfer als Projektsfläche nutzen für das eigene Anliegen. Und dieses Anliegen, dieser eigene Zweck heiligt offensichtlich die Mittel.

Lange vor der Identifizierung (geschweige denn Verhaftung) eines Verdächtigen ist sich US-Präsident Trump sicher, dass „die radikale Linke“ für das Attentat verantwortlich sei. Vizepräsident JD Vance überführt den Leichnam von Charlie Kirk höchstpersönlich in seinem Dienstflugzeug in dessen Heimat. Trumps stellvertretender Staabschef Stephen Miller sieht „linke Terrornetzwerke“ in den USA am Werk, die für „organisierte Aufstände, organisierte Straßengewalt und organisierte Kampagnen zur Entmenschlichung und Verunglimpfung“ von Andersdenkenden verantwortlich seien. Und kündigt an, die öffentliche Wut zu „kanalisieren, um diese Terrornetzwerke zu entwurzeln und zu demontieren“. Leute wurden und werden von ihren Arbeitgebern entlassen, weil sie sich angeblich öffentlich unangemessen über den Tod von Charlie Kirk geäußert haben.

„Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden“, schrieb Rosa Luxemburg 1918. Von wegen: Die Redefreiheit, die JD Vance bei seiner Rede auf der letzten Münchner Sicherheitskonferenz noch in Europa in Gefahr sah, sie wird immer unverhohlener mit der Dominanz der eigenen Sache gleichgesetzt.

Nicht wenige Kommentare dieser Tage enden mit einer Frage, die irgendwo zwischen kühl-medial gesetztem Cliffhanger und dem Empfinden von Hilflosigkeit changiert: Wo soll das alles hinführen?

Ich finde, das ist genau die richtige Frage. Für jeden von uns. Besonders für alle, die medial, politisch oder anderweitig Einfluss haben und Verantwortung tragen. Sie ist genau die richtige Frage, wenn man sie auf dem zweiten Wort betont – und dann ehrlich mit Blick in den Spiegel beantwortet:

Wo soll das alles hinführen?

Wo möchte ich, dass meine Äußerungen, meine Kommentare, mein Engagement eigentlich hinführen? Was ist mein Wunsch, was am Ende herauskommen soll (und ja, gerne als bewusster Christ, der den Auftrag zur Feindesliebe und zur Mitverantwortung für die Gestaltung dieser Welt hat)? Wie soll die Gesellschaft aussehen, in der ich in zehn Jahren leben will?

Möchte ich, dass wir bei allen Unterschieden und aller notwendigen Auseinandersetzung in der Sache menschlich beieinander bleiben – in meiner Beziehung, meiner Familie, meiner Kirchengemeinde, unserem Land? Oder ist mir das – wenn ich ehrlich bin – längst egal? Möchte ich vielleicht viel mehr, dass alle mehr so sind wie ich? Mehr so denken und glauben und reden und handeln wie ich selbst?

Wo soll das alles hinführen?

Aufrichtig beantwortet, wird diese Frage zum Test für die eigene Agenda.

Selbst bei bester Absicht aller handelnden Akteure ist ein zukunftsfähiger Konsens in einer pluralistischen Gesellschaft harte Arbeit, zu verschieden sind in der Regel unser aller Vorstellungen, wo alles hinführen soll. Aber wenn zu viele wesentliche Akteure den zukunftsfähigen Konsens gar nicht wollen, sondern Dominanz – dann ist es fast unmöglich. Dann dauert es unter Umständen sehr lange und kostet viele Opfer und Kollateralschäden bis irgendwann das heilsame Erschrecken einsetzt und der wirkliche „Turning Point“ erreicht ist. Ich hoffe, dass es möglichst vielen gelingt, einen anderen, einen besseren Weg zu wählen.

Wo soll das alles hinführen? Was ist deine Agenda?

5 Responses
  1. Daniela

    Danke für diesen Text🙏. Es sind die Gedanken mit denen ich mich auch trage🥹

    Würde mich auch freuen, wenn das Thema Eures nächsten WegfinderPodcasts wird…

    Es ist ein Wahnsinn- und wo führt das hin? Es macht Angst……

    Liebe Grüsse

    Daniela

  2. Nach allem was ich bisher gehört habe war Charlie Kirk eher ein Brückenbauer als ein Menschenfeind. Er ging auf die Andersdenkenden zu, redete und diskutierte mit ihnen.
    Seine politische Agenda teilte ich sicher wohl eher nicht, aber dahin sollte es meiner Meinung nach gehen: Auf Andersdenkende zugehen, diskutieren, versuchen Brücken zu bauen und die Sichtweisen der Anderen zu verstehen anstatt sich nur noch anzuschreien. Die Meinung des Anderen respektvoll hinterfragen und die eigene Meinung hinterfragen lassen!

  3. Birgit

    Das sind auch meine Gedanken in den letzten Tagen.
    Selbst unter Christen werden hier Gräben vertieft anstatt für Versöhnung einzutreten.
    Was ich hier teilweise in den sozialen Medien gelesen habe macht mich einfach nur traurig.
    So kann ich nur dir hier zustimmen und sagen, dass wir Christen bewusst zumindest für Frieden in der Situation beten sollten..

  4. Bernd

    Ja, selbst die Gräben unter Christen werden vertieft, allerdings nur von den Christen, die treu auf Staatslinie liegen und brav dem Mainstream folgen. Sie verweigern den Dialog mit einer Bewegung von neuen alternativen Politikansätzen (die so neu gar nicht sind). Sie verharren in ideologischen Verblendungen (Klimakatastrophe, Energiewende, Bürgergeld für alle, Migration für alle, Corona), die sich bereits heute entweder als dreiste Lügen oder aber als Irrwege klar herausstellen.

    Das erbärmliche daran ist, dass sie sich selbst Christen nennen, christliche Ideale aber mit Füßen treten. Zu diesen Idealen gehört der unbedingte Willen zum Dialog. Gerade das hat Charlie Kirk in beeindruckender Weise praktiziert und mit klaren christlichen Argumenten versucht, Menschen für den Glauben zu öffnen und gesellschaftliche Fehlentwicklungen zu korrigieren. Zu diesem Zeugnis sind die Kirchen (Staatskirchen und Freikirchen) hierzulande entweder nicht mehr fähig oder nicht mehr bereit. Sie ziehen – wie die Regierung selbst – eine Brandmauer hoch, um jeglichen Dialog tunlichst zu vermeiden. Die Kirchentage laden alle Parteien ein, die heute größte Partei jedoch nicht.

    1989 im Osten waren die Kirchen die Unterstützer der Opposition und mit die „Befreier“ des Volkes. Heute folgt sie wie Lemminge den Machthabern und schweigen. Das ist einfach erbärmlich.

    Es hilft nur eins – Buße tun und mutig den HERRN bekennen. Den Glauben leben und für sich einsetzen Demokratie, Freiheit und Wohlstand. Das ist meine Agenda.

    1. pixelpastor

      Bernd, da widersprichst du dir selbst.

      Im ersten Satz verteilst du den schwarzen Peter der Polarisierung („die Gräben werden vertieft… allerdings nur von den Christen die treu auf Staatslinie liegen“), um dann im Rest deines Kommentars die Welt klar in Freund und Feind aufzuteilen („die Staatskirchen… die Freikirchen…“). Du benennst Klimawandel, Coronapandemie, Energiewende, Migration, Charlie Kirk, AfD als klare thematische Frontlinie, zu der es doch für Christen nur die eine richtige Haltung geben könne… deine… Differenzierung geht anders.

      Von daher: Nein, Widerspruch: Die Gräben werden nicht nur von denen vertieft, die deiner Meinung nach „auf Staatslinie“ liegen. Sie werden auch von dir vertieft.

      Für eine differenziertere Betrachtung zum Thema „Polarisierung“ und „Glauben“ empfehle ich unsere jüngste Wegfinder-Podcastfolge „Kulturkampf“.

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