Testfrage gegen den Selbstbetrug

Das menschliche Herz ist zu jeder Art von Selbstbetrug fähig. Oder, psychologisch ausgedrückt: Wir alle sind dazu fähig, uns die Dinge so zurecht zu legen, dass wir keine Gegenargumente mehr an uns heran lassen. Confirmation bias, nennt das die Psychologie: „Es kann nicht sein, was nicht sein darf“, sagt unser Unterbewusstsein – und blendet alles aus, was unser lieb gewordenes Bild ins Wanken bringen könnte.

Und so können auch Menschen in Verantwortung in Situationen geraten, in denen sie nicht mehr wahrnehmen und für wahr halten können, was in ihrem Verantwortungsbereich tatsächlich passiert. Wie ein suchtabhängiger Mensch versucht der oder die Betroffene, die ganze Welt der eigenen Vorstellung dienstbar und untertan zu machen. Und alle anderen sind entweder Freund – wenn sie das Spiel mitspielen – oder Feind, wenn sie es wagen zu widersprechen.

In der Regel fährt der Karren irgendwann gegen die Wand, und es lässt sich nicht länger verdrängen oder verleugnen: Ich habe falsch gelegen. Manche Menschen erleben diesen Moment als das sprichwörtlich „böse Erwachen“, als existentiellen Zusammenbruch. Andere versuchen, ihre mentale Geisterfahrt einfach fortzusetzen und fangen an, die Geschichte umzudeuten. Es kann einfach nicht sein, was nicht sein darf.

Für Angehörige, Mitarbeiter oder Arbeitskolleginnen ist eine Selbsttäuschung eines Leiters oder einer Leiterin eine echte Belastung: Vorsichtige Kritik wird ignoriert oder weggelächelt, in christlichen Kontexten manchmal auch geistlich manipulativ entschärft („Gott will aber, dass… wenn du wirklich glauben würdest… wir müssen da einfach mehr beten…“), offener Widerspruch meist aktiv bekämpft. Nicht selten bleibt keine andere Option, als strittige Themen auszuklammern oder die Beziehung abzubrechen. Schmerzhaft, wenn so etwas in der Familie passiert. Schwierig, wenn es am Arbeitsplatz notwendig wird. Wer von einem Selbstbetrüger in Mitleidenschaft gezogen wird, hat meist nur die Wahl zwischen solchen Optionen, die man sich alle nicht wünschen kann.

Das Beste wäre doch, wenn die sich selbst betrügende Person sich selbst auf die Schliche käme. Und zwar früh genug, bevor sie sich in ihrem eigenen psychologischen Paralleluniversum vergräbt. In einem solchen frühen Stadium, in dem der Selbstbetrüger noch einigermaßen zugänglich ist für ehrliche Gedankenexperimente und nicht schon zu investiert in die Geschichte ist, die er (oder sie) sich selbst erzählt, hilft vielleicht die Testfrage:

Was wäre an der Wirklichkeit anders, wenn ich Unrecht hätte?

„Ja, Putin hat rund um die Ukraine Truppen zusammen gezogen, aber es wird ganz sicher keinen russischen Angriff auf die Ukraine geben!“ – was wäre an der Wirklichkeit anders, wenn er es doch planen würde?

„Die Corona-Pandemie ist herbei getestet/gelogen/geplant worden. Es gibt keine weltweite bedrohliche Viruskrankeit!“ – was wäre an der Wirklichkeit anders, wenn es sie gäbe?

„Meine Firma ist nicht von der Insolvenz bedroht, der wirtschaftliche Niedergang ist nur eine Momentaufnahme!“ – was wäre an der Wirklichkeit anders, wenn sie kurz vor der Insolvenz stünde?

„Unser Gemeinde stagniert nicht, auch wenn seit Jahren immer nur dieselben in den Gottesdienst kommen – eine Erweckung steht unmittelbar bevor!“ – was wäre an der Wirklichkeit anders, wenn sie tatsächlich stagniert?

Meine eigene Antwort auf die Testfrage sind natürlich kein logischer Beweis, denn auch in meiner Beantwortung der Testfrage kann ich mich ja irren. Aber genau das ist der Punkt: Diese Frage kann mir helfen, zu erkennen, dass ich mich irren könnte. Und dass es deshalb keine gute Idee ist, all zu sehr an der Geschichte festzuhalten, die ich mir selbst allzu gerne erzähle.

Wo ich mich für neue, eigene Ideen und Projekte begeistere, möchte ich es mir antrainieren, mir selbst immer mal wieder diese Testfrage zu stellen: Gibt es eine Geschichte, die ich mir da selbst gerade erzähle, obwohl sie gar nicht wahr ist? Was wäre an der Wirklichkeit anders, wenn du Unrecht hättest?

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