Es ist der ausdrucksstärkste Teil unseres menschlichen Körpers: Das Gesicht. Mit über 40 Muskeln vom Augenbrauenrunzler bis zum Unterlippensenker kann der Mensch eine Fülle von Emotionen und inneren Haltungen ausdrücken: Freude, Angst, Ärger, Trauer, Entsetzen, Wut, Freundlichkeit. Unser Gesicht ist nicht nur Sinnesorgan für unsere Umgebung, sondern auch Signalanlage für das Gegenüber in jeder Art von zwischenmenschlicher Begegnung und Beziehung.
In gesellschaftlichen Diskussionen ertönt oft der Aufruf, für dieses oder jenes Anliegen „Gesicht zu zeigen“ – und damit meinen wir, dass Menschen für ihre innere Haltung nach außen erkennbar einstehen. Ganz ähnlich haben schon die Autoren des Alten Testaments innere Haltungen über Gesichtsausdrücke beschrieben: Kain „senkte finster seinen Blick“. Das Angesicht der Söhne Noahs „war abgewandt“ von ihrem Vater, Esau sah seinen Bruder Jakob nach einem Streit „freundlich an“, und der Prophet Hesekiel kritisiert die Borniertheit seiner Zeitgenossen als „harte Stirn“.
Und jetzt wird’s interessant – denn das Alte Testament beschreibt ja nicht nur Begegnungen zwischen Menschen, sondern auch Begegnungen zwischen Menschen und Gott. Dabei wird auch Gott oft ein „Gesichtsausdruck“ zugeordnet. Auch Gott wird beschrieben als jemand, der sieht, blickt, sein Gesicht jemandem zuwendet oder von ihm abwendet. Natürlich war den biblischen Autoren völlig klar, dass Gott kein Mensch ist und kein physisches Gesicht besitzt. Aber sie waren sich ebenso einig und sicher: Gott ist sehr wohl eine Person, mit einem Charakter, einer Persönlichkeit, einem Willen, mit inneren Emotionen und Haltungen. Und sie beschreiben diese Emotionen und Haltungen Gottes so, wie ein Mensch sie mit seinem Gesicht ausdrücken würde – damit wir Menschen eine bessere Chance haben, Gott zu verstehen.
Das war und ist auch bitter nötig, denn mindestens in der alttestamentlichen Geschichte des Volkes Israels haben viele Menschen Gott oft nicht verstanden. Und oft auch nicht verstehen wollen. Immer wieder haben sie Gottes gute Absichten ignoriert, seine Weisungen für ein gelingendes Leben in den Wind geschlagen, seine Ansagen aus dem Mund zahlloser Propheten überhört, so gut sie konnten. Und so ist das Alte Testament über große Strecken die Erzählung, wie Gott seinen Menschen gegenüber Gesicht zeigt: Wie er sich von ihnen abwendet, um ihnen deutlich zu machen, dass sie in ihrem Eigensinn komplett auf falschem Kurs unterwegs sind. Wie er zulässt, dass sie aus ihrer Heimat deportiert und verschleppt werden als Flüchtlinge unter den anderen Völkern, damit sie endlich das Gewicht begreifen von ihrem Götzendienst und der Unterdrückung der Schwachen in ihrer Mitte.
Und wie sich Gott seinen Menschen wieder zuwendet, um sie einzuladen und herauszufordern, mit ihrer Schuld zurück zu kommen in die heilsame Begegnung und Beziehung zu ihm:
„Ich will mich des ganzen Hauses Israel erbarmen und um meinen heiligen Namen eifern. Sie aber sollen ihre Schmach tragen und alle ihre Sünde, mit der sie sich an mir versündigt haben, wenn sie nun sicher in ihrem Lande wohnen … Sie werden erfahren, dass ich, der HERR, ihr Gott bin, der ich sie unter die Völ-ker weggeführt habe und wieder in ihr Land sammle … Und ich will mein Angesicht nicht mehr vor ihnen verbergen; denn ich habe meinen Geist über das Haus Israel ausgegossen, spricht Gott der HERR.“ (Hesekiel 39, 25-29)
Aus diesen Worten des alttestamentlichen Propheten Hesekiel wird für mich deutlich, welche Haltung Gott zu uns Menschen grundsätzlich hat: Er will die Begegnung und die Beziehung. Trotz all der Schuld und der Zerbrochenheit, die ich in mir trage. Seine Güte ist eine Einladung, umzukehren und zu ihm nach Hause zu kommen, wie es der Apostel Paulus im Neuen Testament schreibt (Römer 2,4).
Wer sich auf diese Einladung einlässt, kann persönlich erleben: Gott zeigt Gesicht – und es ist freundlich.