Knick im Buch

„Gehe sorgfältig mit Sachen um, die du dir ausgeliehen hast“. Ich dachte eigentlich, ich hätte diesen Satz verinnerlicht – bis zu diesem Tag während meiner Studienzeit, als ich mir von Rainer ein Buch auslieh. Rainer war ein guter Freund, seine Eltern hatten mal eine Buchhandlung geführt, und entsprechend wichtig war die Unversehrtheit von Büchern in Rainers Familie. Gerne lieh er mir eins seiner Bücher aus, und ich ging so mit dem Buch um, wie ich eben mit Büchern so umgehe. Nicht mutwillig, aber eben nicht wie ein Buchhändler.

Ein kleiner aber feiner Unterschied, den ich kennen lernen sollte, als ich Rainer das ausgeliehene Buch zurückgab. Was für mich nur ein klitzekleiner Knick im Cover des Taschenbuchs war, war für Rainer eine halbe Staatsaffäre. Und für mich eine wichtige Erkenntnis: Ich mag noch so überzeugt von meinen Maßstäben sein – wie man mit geliehenen Sachen richtig umgeht, entscheidet letztlich der Eigentümer.

Das ist mit Büchern so, aber auch mit meinem Leben und unserer Welt.

Als Christ glaube ich: Mein Leben wurde mir nur geliehen, die Schöpfung uns Menschen nur anvertraut. Eigentümer ist in beiden Fällen Gott selbst. Der alttestamentliche König David, der einen besonders engen Draht zu Gott hatte, bringt das in 1. Chronik 29,11 so auf den Punkt:

Alles im Himmel und auf Erden ist dein.

Gott gehört die Welt, und Gott gehört mein Leben. Ich darf und soll beides gestalten, aber beides ist nur geliehen.  Deshalb will ich mit meinem Leben wie mit der Schöpfung möglichst so pfleglich umgehen, wie es der Eigentümer will.

 

(erschienen in der Sendereihe Anstoß bei ERF Plus)

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