Im Kunstunterricht war ich immer richtig schlecht. Ich kann mich noch gut an das Gefühl in der Schule damals erinnern. Zum Beispiel das Bild mit dem Baum vor dem Sonnenuntergang: Wochenlang malte ich im Kunstunterricht an diesem Bild. Ich bemühte mich eifrig darum, dass mein Sonnenuntergang aus rot und orange und gelb so richtig schön und glorreich leuchtete. Und dass der Baum so richtig schwarz und dunkel und knorrig davor stand. Es war ein tolles Bild, ein unglaublich gelungenes Bild. Ein Ausweis meines Talents, der bisherige Höhepunkt meines damals noch jungen künstlerischen Schaffens.
Leider sah das mein Kunstlehrer anders. „Drei Minus“ stand lapidar auf der Rückseite meines Zeichenblattes, als er die benoteten Bilder in der Klasse zurückgab. Was für eine Enttäuschung!
So ist das mit Bildern. Jeder Mensch macht sich welche – von der Welt, von anderen Menschen, von sich selbst – und von Gott übrigens auch. Und manchmal geraten Vorstellungen in diese Bilder hinein, die das ursprüngliche Bild verwässern, verzerren oder sogar übertünchen.
Zum Beispiel beim Selbstbild – dem, wie wir uns selber sehen und bewerten. Im Leben stoße ich immer wieder darauf, dass die Dinge manchmal anders sind, als ich sie mir bislang vorgestellt hatte. Zum Beispiel wenn mich ein anderer Mensch enttäuscht und ich feststelle, dass ich mich in ihm oder ihr ge-täuscht habe. Mein Bild von ihm oder ihr entsprach dann nicht so ganz den Tatsachen.
Manchmal bin ich selbst dieser Mensch, von dem ich enttäuscht bin. Vielleicht sind das die schmerzhaftesten Enttäuschungen: Wenn mir klar wird, dass ich mich in mir selbst getäuscht habe. Dass ich etwas nicht so locker beherrsche wie ich dachte. Dass ich jemanden verletzt habe, obwohl ich das Gute wollte. Dass ich zu einer Sünde fähig bin, die ich nie für möglich gehalten hätte. Ich merke dann: Ich war eingebildet. Ich habe in mein Bild von mir selbst etwas hineingemalt, was da nicht hingehört.
Und schon vom Schulhof wissen wir: Einbildung führt zum Angeben. Wer in Gedanken eingebildet ist, der erhebt sich irgendwann auch in Wort und Tat über andere. Wie ich über mich denke, bestimmt, wie ich mit anderen umgehe.
Ich glaube, für Christen gibt es noch ein besonderes Risiko der Einbildung: Dass sie sich etwas persönlich zurechnen, was eigentlich Gott getan hat. Gott begegnet meiner Sünde mit Gnade, und ich bilde mir ein, moralischer zu sein als andere. Gott lässt mich im Glauben wachsen, und ich bilde mir daraufhin ein, ein besonders guter Christ zu sein.
Geistliches Eingebildetsein ist die Ursünde der Pharisäer, und keine menschliche Haltung ist Jesus so scharf angegangen und hat sie beim Namen genannt, wie Einbildung und Stolz. Und der Apostel Paulus mahnt nicht weniger scharf im 1. Korintherbrief, Kapitel 4 Vers 7:
Wer gibt dir denn das Recht, dir etwas einzubilden? Kommt nicht alles, was du hast, von Gott? Wie kannst du dann damit angeben, als hättest du es von dir selbst?
Warum geht Paulus hier so massiv mit der Einbildung ins Gericht?
Meine Antwort: Weil Christen die letzten sind, die Grund haben, eingebildet zu sein. Christen wissen doch, dass sie alles Gott zu verdanken haben, was Wert besitzt in ihrem Leben. Christen wissen doch, dass Gott selbst der Maler ist, der sie nach seinem Ebenbild geschaffen hat. Und wo Gott ein Bild malt, soll der Mensch nichts hinein malen, sich nichts ein-bilden.
Wie gut, dass es mit Gott anders ist als mit dem Kunstunterricht. Gott benotet nicht mein Bild von mir selbst. Er malt es.
(erschienen in der Sendereihe Wort zum Tag bei ERF Plus)