Manchmal sind Menschen so unbeirrbar in die falsche Richtung unterwegs, dass man auch als größter Optimist schier verzweifeln könnte. Besonders dann, wenn man eine gemeinsame Geschichte mit diesen Menschen hat und sich für sie verantwortlich fühlt. Wenn zum Beispiel Leute in der Kirchengemeinde oder im Freundeskreis immer weiter abdriften in Vorstellungen und Zwänge, die nicht mehr viel mit einem freiheitlichen Glauben an Christus zu tun haben.
Der Apostel Paulus war in so einer ratlosen und hilflosen Situation mit der christlichen Gemeinde, die er in der römischen Provinz Galatien gegründet hatte. Diese Leute waren frei geworden von heidnischem Aberglauben und ihrer Angst vor zornigen Göttern. Paulus hatte sie überzeugt, dass es nur einen Gott gibt, und dass dieser Gott ihnen in Jesus Christus ein freundliches Gesicht zeigt.
Aber dann biegen diese Gläubigen auf ihrer geistlichen Reise irgendwann falsch ab. Statt Gottes Liebe immer mehr zu vertrauen, fangen sie damit an, dass sie Gott durch religiöse Regeln beeindrucken wollen. Anstatt die Freundlichkeit Gottes zu genießen, errichten sie ein System aus tausend Kleinigkeiten, die sklavisch zu beachten seien, um Gottes Strafen zu entgehen. Sie bauen das Geschenk der Gnade Gottes um in ein Gefängnis der Angst vor Gott.
Und alles gute Zureden von Paulus scheint nicht zu helfen. Man kann die Verzweiflung des Apostels auch 2.000 Jahre später noch spüren, wenn man im so genannten „Galater-Brief“ in Kapitel 4 liest:
Früher, als ihr den wahren Gott noch nicht kanntet … dientet ihr Göttern, die in Wirklichkeit gar keine Götter sind, und wart ihre Sklaven. Jetzt aber kennt ihr Gott – oder vielmehr: Gott kennt euch. Wie ist es da möglich, dass ihr wieder zu den kraftlosen und armseligen Vorstellungen dieser Welt zurückkehrt? Wollt ihr ihnen wirklich von neuem dienen und ihre Sklaven sein? Ihr seid ängstlich darauf bedacht, bestimmte Tage heilig zu halten und die monatlichen und jährlichen Feste zu feiern. Ich bin in Sorge wegen euch!
Was hält jetzt noch? Welcher Anker ist noch da, an den Paulus „seine Galater“ erinnern könnte?
Paulus reagiert auf die Situation nicht mit Regeln und Geboten. Wer sich bereits in seinem selbstgebauten Regeldickicht verlaufen hat, braucht nicht noch mehr Vorgaben. Paulus fordert sie nicht etwa auf, Ratschlägen zu gehorchen – sondern er erinnert sie daran, wem sie gehören. Ich lese (Galater 4, 6-7):
Weil ihr Gottes Kinder geworden seid, hat Gott euch den Geist seines Sohnes ins Herz gegeben, sodass ihr zu Gott nun »lieber Vater« sagen könnt. Jetzt seid ihr keine Diener mehr, sondern Kinder Gottes. Und als seinen Kindern gehört euch alles, was ihm gehört. Gott hat es so bestimmt.
In meinen, heutigen, Worten:
Mensch, ihr seid doch Christen, ihr gehört doch zu Christus! Ihr teilt doch mit Jesus Christus einen Familiennamen! Ihr gehört doch zu Gottes Familie, ihr seid doch Gottes Kinder, ihr müsst euch doch bei Gott nichts verdienen und erkämpfen! Tief drin in euch müsst ihr doch wissen: Gott teilt alles mit euch, was ihm gehört!
Ich weiß nicht, ob diese Erinnerung von Paulus die Christinnen und Christen damals in Galatien zur Besinnung gebracht hat. Aber ich weiß, dass ich diese Erinnerung auf meiner geistlichen Reise heute immer wieder brauche. Danke, Paulus!