Agile Leadership: Lernen statt Genehmigen

Dieser Post ist Teil einer Toolbox für Agile Leadership für Führung in unserer heutigen „VUCA-Welt“ (VUCA = Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity), in der Berechenbarkeit, Kontrolle und Stabilität wie Relikte aus der Vergangenheit wirken. Jede Welt braucht und erzeugt eine passende Führungskultur. Für die VUCA Welt ist das Agile Führung (Agile Leadership).

Agile Führungsinstrumente werden umso besser funktionieren, je mehr die Organisation insgesamt von einem agilen Mindset geprägt ist (bei ERF – der Sinnsender sind wir gerade in der Transformation in eine agile Organisation). Aber du kannst die Führungsinstrumente in dieser Toolbox auch einzeln anwenden und damit auch in einer klassischen Organisation ein Stück neue, agile Kultur säen. 


Vor ein paar Jahren wollte ich auf meinem Privatgrundstück einen Baum fällen. Ich wusste vorher nicht, was eine „Baumfällgenehmigung“ ist oder eine „untere Naturschutzbehörde“. Jetzt weiß ich: Ohne mehrfache Begutachtung, Prüfung und Dokumentation durch verschiedene „zuständige Stellen“ kriegt man in Deutschland nicht mal den eigenen Baum gefällt. Geschweige denn einen Hauptstadtflughafen gebaut.

Ich glaube, solche Genehmigungsschleifen sind das, was die meisten Menschen in Deutschland an der öffentlichen Verwaltung so nervt. Das ist aber meistens nicht eine Frage der Branche, denn in vielen Unternehmen und selbst in großen Non Profit-Organisationen (Stichwort: Kirchen) sieht’s nicht besser aus. „Das muss über meinen Tisch!“ „Ist das von XY genehmigt worden?“ „Dafür ist meine Kollegin zuständig“ – solche Sätze gehören zum deutschen Büroalltag wie die Kaffeemaschine oder die Weihnachtsfeier.

Ganz ehrlich: Ich kann das Wort „zuständig“ nicht mehr hören. Denn Zuständigkeitsdenken bedeutet „Diese Entscheidung steht nur mir zu“. Es erzeugt am Ende einen „Zustand“, und es erzwingt immer wieder neue Genehmigungsschleifen.

Der Sinn von Genehmigungen ist: Risikobegrenzung. Dass niemand zu viel darf, soll dafür sorgen, dass niemand einen zu großen Fehler machen kann. In der Folge wird die Fehlervermeidung oft zum gemeinsamen Nenner des Handelns. Jede Stelle in der Kette nutzt nicht einmal ihren Ermessensspielraum aus, um das Vorhaben vorwärts zu bringen.

In einer Welt, einem Markt, der sich schnell und unberechenbar ändert, dauern solche Genehmigungsschleifen aber viel zu lange.

Natürlich ist es keine Alternative, dass jeder alles nur noch schnell alleine macht, denn unsere Welt ist nicht nur schnell veränderlich, sondern auch komplex. Das nächste Produkt, die nächste Dienstleistung, das nächste Projekt – all das erfordert deshalb das Zusammenwirken verschiedener Kompetenzen. Es führt kein Weg an Kollaboration vorbei, aber es gibt dazu einen besseren Weg als Genehmigungsschleifen – und das sind Lernschleifen: Man zieht das gemeinsame Machen zeitlich nach vorne und schiebt die gemeinsame Betrachtung „Soll das wirklich so laufen?“ zeitlich nach hinten. Ganz weit nach hinten. Bis hinter das (erste) Tun.

Die Folge: Das Produkt, die Dienstleistung oder das Projekt kommt viel schneller in die Praxis und den Menschen zugute, denen man dient. Dafür mit weniger Absicherung, dass auch wirklich alle Aspekte geprüft worden sind und mit einem höheren Risiko einer Fehlentscheidung. Aber – und das ist bei Lernschleifen der Punkt: Nur beim ersten Mal. Denn Lernschleife bedeutet nicht: „Alle machen einfach mal“. Sondern: „Alle machen einfach mal“ und „Alle setzen sich hinterher zusammen und sprechen systematisch durch, was man aus der Erfahrung für ein nächstes Mal lernen kann“. Und zwar nicht wie bei der Genehmigungsschleife anhand theoretischer Kriterien und Vorgaben, sondern anhand einer tatsächlichen (ersten) Praxiserfahrung.

Klar: Es gibt Projekte, da muss man das Risiko maximal minimieren. Das Instrumentenlandesystem eines Passagierflugzeug, die Technikausstattung für eine Intensivstation oder die Planung für einen Atomreaktor wird ohne Genehmigungsschleifen nicht auskommen. Aber jede Wette: Das Fällen eines Baums schon. Und das nächsten Projekt in deinem Team und in deiner Organisation relativ wahrscheinlich auch.

Wenn eine Organisation Genehmigungsschleifen durch Lernschleifen ersetzt, erfordert das nicht nur neue Abläufe und dass man Mitarbeitenden liebgewonnenes Zuständigkeitsdenken wegnimmt, sondern auch eine neue, gemeinsame Fehlerkultur. Bei ERF – der Sinnsender sagen wir oft: „Wir sind kein Krankenhaus und kein Atomkraftwerk. Es ist nicht schlimm, wenn mal etwas schief geht. Es ist nur schlimm, wenn wir nicht fähig oder willens sind, aus unseren Fehlern zu lernen“. Deshalb machen wir z.B. in unseren Standups in der Unit Unternehmensentwicklung regelmäßig eine Retrsospektive aller erledigten Aufgaben: Was hat funktioniert? Was können wir daraus lernen?Und ich beobachte: Das funktioniert von Mal zu Mal besser, wir werden als Organisation schneller in unseren Entscheidungen, und trotzdem sind am Ende verschiedene fachliche Perspektiven beteiligt. Aber eben im gemeinsamen Lernen, nicht im Gerangel um das Zuständigsein.

Wie funktionieren Lernschleifen in eurem Team? Lass uns gerne per Kommentar an deinen Erfahrungen teilhaben.

4 Responses
  1. Andreas J.

    „In einer Welt, einem Markt, der sich schnell und unberechenbar ändert, dauern solche Genehmigungsschleifen aber viel zu lange.“

    Ein klares NEIN!

    Die Genehmigungsschleifen sind in einer Organistaion die sorgfältigen Planungen.
    Wer daran rüttelt, hat nichts Gutes im Sinn.

    Die Botschaft – und darum geht es hier – eines angeblich schnellen Marktes, hat nur den Zweck das Risiko des Kunden auf den Lieferanten abzuwälzen. Alles muss schnell, schnell gehen. Hier bei passieren natürlich Fehler, z.B. in den Ausschreibungen, Kalkulationen oder Angeboten – darauf spekulieren solche Kunden um ihre Marge zu erhöhen.

    Und erst mal machen und aus den Fehlern lernen, kann man sich nur dann leisten, wenn es um nichts geht.

    In der Automobilbranche gilt seit Jahren die Erkenntnis, dass Fehler in der Planung sich in jeder Ferigungsstufe, bis zum Kunden, finanziell jeweils verzehnfachen.

    Aus Fehlern lernen, kann die teuerste Methode sein.

  2. pixelpastor

    Genau, KANN. Das ist immer eine Frage des jeweiligen Risikos, klar.

    Aber – und das war mein Punkt – es ist auch eine Frage von Veränderungsgeschwindigkeit.

    Gerade die deutsche Automobilindustrie ist dafür ein passendes Beispiel: Versucht sie nicht gerade mit Karacho, ihre auf viele Jahre ausgelegten Planungszyklen zu verändern, um beim Thema E-Mobilität wenigstens halbwegs hinterherzukommen und sich nicht von Tesla und chinesischen Anbietern die Butter vom Brot nehmen zu lassen?

    Also, ich bleibe dabei: Genehmigungsdenken bewirkt Risikominimierung, aber macht dafür langsam (und ich behaupte: leistet auch Verantwortungsdiffusion Vorschub). Lerndenken macht schnell, aber erhöht das Fehlerrisiko. Beides kann man wollen. Für unser mittelständisches Non-Profit in der Medienbranche, für das ich Leitungsverantwortung mittrage, will ich das zweite.

  3. Daniel Blatt

    Klingt ja toll, die Erfahrung der sogenannten agilen Unternehmer zeigt aber, die Unternehmer selbst können nicht loslassen und zerstören dadurch ihre eigen Umstrukturierung.

    Gute gedacht, schlecht gemacht.
    Leider fast überall…

    1. pixelpastor

      Ich hab nicht mit ausreichend
      vielen Unternehmern gesprochen, um dazu etwas Belastbares zu sagen. Ich meine aber sagen zu können, dass ein Nicht-Loslassen-Können von Führungskräften in jeder Organisationsform zum Problem werden kann.

Leave a Reply