„Hey – du bist nicht allein auf der Welt!“, raunzt die Lehrerin einen ihrer Schüler in der Frühstücksschlange der Jugendherberge an. Der hatte sich gerade die fünf letzten Brötchen auf seinen Teller gestapelt. „Siehst du nicht, dass hinter dir noch andere in der Schlange stehen?“ Nach vier Tagen Klassenfahrt mit der 7b ist das Maß voll, die Ansage an ihre Pappenheimer fällig. „Ja, okay…“, murmelt der pubertierende Vielfraß. Und legt vier Brötchen zurück in den Edelstahlbottich.
Ich glaube, die Lektion aus der Jugendherberge haben wir noch nicht genug gelernt. „Wir“ wie in „wir, die Menschheit“. Auch wir sind nicht allein auf der Welt, und stapeln doch alles auf unseren Teller, was wir kriegen können. Wer, was und wie viele noch hinter uns in der Schlange stehen – egal.
Sauberes Trinkwasser, saubere Luft, verträgliches Klima, Bodenschätze, Wälder, Tierbestand, Artenvielfalt… wir leben in einer geschenkten Welt voller Dinge, die wir nicht selbst hervorgebracht haben. Wir leben von einer geschenkten Welt, weil wir viele dieser Dinge auch nicht selbst hervorbringen könnten, selbst wenn wir wollten. So wie der Vielfraß aus der 7b leben wir so, als würde eine unsichtbare Hand den Bottich mit den Brötchen schon immer wieder nachfüllen. Die Konsequenzen unseres Habgierlebens schon irgendwie ausgleichen. Wir alle sind die Pappenheimer.
Es gibt diese unsichtbare Hand tatsächlich. Aber sie füllt nicht nach, sie hat geschenkt und beauftragt. Es ist die Hand Gottes, die uns, der Menschheit, den Weg gewiesen hat. Aber wir, die Menschheit, haben aus „Bebauen und Bewahren“ ein „Abbauen und Verbrauchen“ gemacht, aus einem Saatgebot einen Erntedruck. Statt als Beschenkte zu leben, sind wir zu Verbrauchern geworden. Wir im reichen Westen zuerst – und hinter uns in der Schlange stehen noch weitere sieben Milliarden Menschen in der Schlange.
Höchste Zeit für eine Ansage. In Abwandlung des bekannten Diktums von Ernst-Wolfgang Böckenförde müssen wir es hören: „Der Mensch lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Wir sind nicht allein auf der Welt. Der Bottich ist begrenzt, dieser Planet ist alles, was wir haben, Habgierleben hat keine Zukunft. Was aber Zukunft hat, ist wieder bewusst als Beschenkte zu leben. Jeder einzelne. Und wir, die Menschheit. Weil wir es müssen. Weil uns die unsichtbare Hand Gottes diesen Weg weist.
Es wäre weise, das auch zu wollen.
Dieser Text wurde veröffentlicht im Fastenlesebuch „Komm rüber! Sieben Wochen ohne Alleingänge“ von Ralf Meister (Hrsg.), erschienen bei edition chrismon.