Vor kurzem bin ich an einem Wahlplakat vorbeigefahren. Der hessische AfD-Landesverband hatte es im Vorfeld der Wahl zum Hessischen Landtag am 8. Oktober aufgehängt. Und in mir hat etwas „Klick“ gemacht, denn dieses Plakat bringt für mich auf den Punkt, warum die AfD für mich keine Alternative für Deutschland ist.
Und ja, ich höre schon das „aber“: Aber hat die AfD nicht manchmal in der Sache auch einfach Recht? Aber gibt es nicht auch auf der linken Seite Ideologen und Populisten? Aber sind es nicht konservative Meinungsäußerungen, die in der medialen Öffentlichkeit zurückgedrängt werden? Aber das sind doch keine Nazis, nur weil sie konservative Überzeugungen vertreten? Aber ist die AfD nicht die einzige Partei, die man als Christ mit Blick auf die Themen Ehe, Familienbild, Abtreibung, Migration usw. noch wählen kann?
Ich finde einige dieser Fragen verständlich, aber halte die AfD dennoch für keine gute Antwort. Oder besser gesagt: Für eine gefährliche. Vielleicht muss ich zur Begründung noch nicht einmal das ausgrenzende Menschenbild, die Verachtung einer demokratischen, freiheitlichen und pluralistischen Gesellschaft oder das stellenweise offen völkische Denken heranziehen – nicht nur bei ein paar schrägen Sympathisanten, sondern in beträchtlichen Teilen der offiziellen Parteiorganisation und in ihrer gewählten Mandatsträger. Vielleicht bringt es schon dieses eine von der AfD in Hessen selbst verbreitete Plakat auf den Punkt.
„Weil wir für euch sind, sind sie gegen uns“ – dieser Slogan ist schon fast 30 Jahre alt. Er stammt vom österreichischen Rechtspopulisten Jörg Haider. Und ich erhebe gleich an drei Stellen Widerspruch:
- Wer ist dieses „euch“, von dem hier gesprochen wird? Alle Menschen, die in Deutschland leben? Alle AfD-Wähler? Alle, die mit irgendwas unzufrieden sind? Hier wird sprachlich eine vermeintlich homogene Gruppe von Menschen konstruiert, die vermeintlich gemeinsam auf der Suche ist nach einer politischen Antwort auf ein vermeintlich gemeinsames Bedürfnis. In Wahrheit haben wir, die wir in Deutschland leben, eine große Bandbreite an Interessen, Prioritäten und politischen Überzeugungen. Unter uns allen entstehen immer wieder Mehrheiten für bestimmte Anliegen, aber diese Mehrheiten wechseln, verändern sich von Thema zu Thema und von Jahr zu Jahr. Das Volk hat keine einheitliche Meinung, und es lässt sich auch nicht auf alle Menschen einer gleichen Meinung reduzieren. Das „euch“ auf dem Wahlplakat ist eine Fiktion – es gibt diese Gruppe nicht, genauso wenig wie den „Volkskörper“ aus der nationalsozialistischen Propagandasprache.
- Wer ist dieses „sie“, von dem hier gesprochen wird? Alle anderen Parteien? „Die“ da oben? Die „Eliten“? Die, die hinter den Kulissen die wahre Macht in den Händen halten? Hier wird sprachlich ein Gegner geschaffen, der bewusst nebulös und unscharf bleibt. So kann man die Menschen und Mächte in dieses „sie“ hineinprojizieren, denen man misstraut. Von denen man sich missverstanden fühlt. Die man nicht versteht. Auf die man neidisch ist. Ja, es gibt Menschen, die mehr Macht, Einfluss und Geld haben als ich. Viele. Aber sind diese Menschen eine homogene Gruppe, die sich zusammentun, um über meinen Kopf hinweg oder gar gegen meine Interessen zu handeln? Nein – auch dieses „sie“ ist eine konstruierte Fiktion. Sie ist genauso erfunden wie das „euch“, und erzeugt mit diesem gemeinsam ein „wir“ und „die“. Von da ist es nur noch einen Schritt weiter zum „wir gegen die“ – und damit bin ich bei meinem dritten Widerspruch.
- Was bedeutet „wir für euch“ und „sie gegen uns“? Mit dieser sprachlichen Gegenüberstellung werden Anwaltschaft und Märtyrerschaft konstruiert. Der Gedankengang funktioniert so: Wir, die AfD, sprechen für das vermeintlich homogene Volk – und deshalb sind die vermeintlich homogenen „Anderen“ da oben und im Geheimen gegen uns. Wir, die AfD, sind die Einzigen, die euch verstehen. Und wir beziehen die Prügel, die eigentlich euch gelten. Das ist die klassische Inszenierung eines Volkstribuns: Es gibt angeblich ein Volk, es gibt angeblich eine Gegenmacht, und es gibt einen, der sich für dieses Volk mit der Gegenmacht anlegt. Damit erhöht man sich selbst zum Erlöser („I alone can fix it“, wie Donald Trump es formuliert hat), und man unterstellt gleichzeitig allen politischen Wettbewerbern, planmäßig gegen die Interessen der Menschen in unserem Land zu konspirieren. Wer so denkt – was soll eine freiheitlich-demokratische Grundordnung dem eigentlich noch bieten?
„Weil wir für euch sind, sind sie gegen uns“ – an diesem plakatierten Slogan stimmt also fast nichts, und gleichzeitig bringt er für mich den Kern einer populistischen Denkweise auf den Punkt. Ja, politischer Wettbewerb braucht echte Alternativen. Vielleicht im Moment sogar dringend. Aber keins der politischen Anliegen, die vermeintlich „nur die AfD“ vertritt, ist es mir wert, dafür ein politisches System zu schleifen, das die Entstehung, Äußerung und Umsetzung wechselnder Meinungsmehrheiten garantiert. Selbst wenn ich in diesem System inhaltliche Kröten schlucken muss, die mir gegen den Strich gehen.
Die AfD präsentiert sich als Alternative zu anderen, etablierten politischen Parteien, aber sie trägt in sich ein Momentum zur Abkehr von unserer demokratischen, freiheitlichen, pluralistischen Gesellschaftsordnung. Deshalb ist sie für mich keine Alternative für Deutschland.
Mehr zum Themenfeld „Rechtspopulismus“ und „Demokratie“ findest du in zwei Folgen in meinem Podcast „Wegfinder“, den ich zusammen mit Uwe Heimowski mache:
(48) Rechtsaußen
Über den Höhenflug der AfD und das Verhältnis von Christen zum Populismus.
(54) Wir
Über Demokratie, Pluralismus und die Macht von 80 Millionen Menschen.