Wie gut ist die Gute Nachricht heute noch?

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Wie wurde aus der „Guten Nachricht“ der Christen eine „schlechte Nachricht“ für viele ihrer postmodernen, säkularen Zeitgenossen? Und wie kann sie wieder besser erzählt werden?

Mit dieser Frage setzte sich Julia Garschagen, Leiterin des Pontes Instituts für Wissenschaft, Kultur und Glaube, in ihrer Keynote auf der diesjährigen Leitertagung von netzwerk-m in Rehe (Westerwald) auseinander. Und viele ihrer Beobachtungen und Fragen treffen in mir auf Resonanz. Denn auch ich nehme wahr, wie sehr sich unsere Gesellschaft und ihre Reaktion auf christliche Wirklichkeitserklärungsversuche (theologisch: Verkündigung und Apologetik) in den letzten Jahrzehnten verändert hat. Auch ich nehme wahr, wie zunehmend hilflos Christen versuchen, ihre säkulare Umgebung dazu zu bringen, die Fragen zu stellen, für deren Beantwortung sie sich bereit halten und geistlich verantwortlich empfinden. Gerade erst im zurück liegenden Advent habe ich in einem ERF Gottesdienst dazu gepredigt.

Was einem aufmerksamen Dialog oft im Weg steht, ist dass für Christen das Evangelium, die Gute Nachricht, ganz selbstverständlich eine gute Nachricht ist – für ihr säkulares Gegenüber aber immer häufiger auch eine schlechte Nachricht. Wie kann das sein?

Eine Rolle spielt für Julia Garschagen dabei der über viele Jahrhunderte Kirchengeschichte angesammelte Ballast an Missverständnissen, Überheblichkeit und Widersprüchlichkeiten, an denen auch die heute real existierende Christenheit weiter  Anteil hat (Stichwort: sexueller und geistlicher Missbrauch in der Kirche).

Auf drei Ebenen im Erleben der jüngeren Generation unserer post-christlichen Gesellschaft sieht Julia Garschagen eine grundsätzliche Hinterfragung, ob die gute Nachricht wirklich gut sein kann:

  • emotional – für die meisten jüngeren Menschen ist die Frage nach dem Sinn des Lebens beantwortet: Glücklich sein. Auf dem Weg dahin ist Gott im besten Fall überflüssig. Oder sogar schädlich: Religion wird grundsätzlich als Hürde auf dem individuellen Weg zum Glück empfunden.
  • intellektuell – für die meisten jüngeren Menschen schließt sich Glauben und Denken gegenseitig aus. Glaube ist für sie im besten Fall intellektuell irrelevant, meist aber sogar eher schädlich. Christen werden von ihnen zunehmend als intellektuell unredlich empfunden (und manche Christen tun das ihre, um diesen Eindruck zu bestätigen).
  • moralisch: Für die meisten jüngeren Menschen ist das Christentum moralisch diskreditiert: Missbrauch, Homophobie, Heuchelei, Freiheitsfeindlichkeit, Ignoranz gegenüber Klimawandel … die Liste ist lang. Und selbst wenn Christen als moralisch positive Kraft neben anderen akzeptiert werden, sind sie es als „diesseitige“ Größe; das Evangelium als transzendente Quelle wird dabei kaum wahrgenommen.

Diese Empfindung findet sich heute im Grundsatz auch in der jüngeren Generation innerhalb christlicher Gemeinden wieder. Darauf reagiert eine ältere christliche Generation oft instinktiv mit dem Aufruf zu mehr Treue, Bewahrung und Befestigung, was in der Praxis oft wenig zielführend ist. Denn wenn jungen Christinnen und Christen heute den Eindruck haben, sie müssten in unserer postmodernen, pluralistischen Gesellschaft die Dialogebene mit ihren säkularen Zeitgenossen verlassen, um der „Linie“ ihrer Kirche treu zu bleiben – dann sind sie dazu im Gegensatz zu ihrer Elterngeneration nicht länger bereit. Viele verlassen eher ihre Kirchen und Gemeinden, bevor sie mit ihren säkularen Freunden auf eine Art und Weise über ihren Glauben sprechen, die ihrem eigenen emotionalen, intellektuellen und moralischen Empfinden zuwider läuft.

Ein Schlüssel, damit die „Gute Nachricht“, von der Christen sprechen, wieder als gute Nachricht gehört wird, liegt für Julia Garschagen im Anerkennen von gesellschaftlichem Mentalitätswandel und Werteverschiebung. Der Weg zur Wahrheit war und ist in der Moderne (und für die in der Moderne sozialisierten Generationen) die Rationalität – für die jüngere, postmodern sozialisierte Generation dagegen die Erfahrung: Als glaubwürdig wird nicht primär das gewertet, was rational überzeugt – sondern was as authentisch empfunden wird.

Und das gilt in unserer heutigen, postmodern geprägten Kommunikationskultur sogar für ältere Generationen. Untersuchungen zeigen, dass die meisten Menschen in ihren täglichen Entscheidungen nicht vor allem öffentlichen Experten oder Meinungsmehrheiten in sozialen Medien vertrauen, sondern zunehmend der „Empfehlungsmacht“ von Menschen, die sie persönlich kennen, und denen sie vertrauen.

Wenn christliche Verkündigung und Apologetik das Evangelium wieder als gute Nachricht erzählen will, dann erfordert das mehr, als wirklich gute Antworten auf Fragen bereit zu halten, die heute kaum noch jemand stellt. Dann erfordert das:

  • zeugnishaft und zeichenhaft leben
  • ganzheitlich glauben und leben, in einer Einheit von Wort und Tat
  • Sprachfähigkeit von ganz „normalen“ Christen abseits von Kanzel und Bühne
  • demütige Wahrnehmung und Wertschätzung säkularer Mitmenschen

Es braucht Mut, sich in einer solchen Haltung auf die Fragen des Gegenübers einzulassen und in ihnen die „Schönheit des Evangeliums zum Leuchten zu bringen“ – anstatt die Fragen des Gegenübers lediglich als Anlass und Sprungbrett für die eigenen „ewigen Überzeugungen“ zu nehmen. Dieser Dialog erfordert es, die gute Absicht des Gegenübers hinter seiner oder ihrer Frage zu finden und wertzuschätzen. Auch dann, wenn hinter ein- und demselben Thema für Christen und ihre säkularen Zeitgenossen  andere Grundfragen des Lebens stehen (Beispiel Abtreibung: Christen sehen dahinter oft vor allem die Frage nach dem Wert des Lebens, säkulare Zeitgenossen oft vor allem die Frage nach der Freiheit der Frau – beides sind aber sinnvolle und relevante Fragen).

Als kleine Checkliste für eine neue, gegenüber der Postmoderne sprachfähige Art, das Evangelium zu erzählen, empfiehlt Julia Garschagen mit Blick auf die verschiedenen, oben beschriebenen Ebenen der Hinterfragung durch die jüngere Generation:

  • Erzählen wir mit Bezug auf die Kraft des Evangeliums – es macht in der konkreten, emotionalen Erfahrung einen Unterschied!
  • Erzählen wir intellektuell inspirierend vom Evangelium – es ist auch bei klarem Verstand anziehend!
  • Erzählen wir so, dass die Schönheit des Evangeliums zum Leuchten kommt – es ist selten und kostbar!

Ich finde: Es ist den Versuch wert, unsere überkommenen Formen christlicher Verkündigung und Apologetik in diese Richtung weiter zu entwickeln. Damit auch eine postmodern geprägte, jüngere Generation, das Wesen des Evangeliums existenziell erfahren kann:

Die Wahrheit Gottes hat nicht recht, sie hat lieb.

2 Antworten
  1. Martina Luh

    Lieber Jörg, sie spricht mir aus dem Herzen. Ich könnte jede Zeile unterschreiben von Ihrem Statement.
    Es geht nach wie vor, schon wie es damals Jesus gemacht hat darum, den einzelnen Menschen mit Wertschätzung und Respekt zu begegnen. Ganz egal aus welchem Hintergrund und mit welchen Vorstellungen er kommt. Es geht darum ihn und seine Überzeugungen ernst zu nehmen und ihm nicht etwas überzustülpen, was er gar nicht verstehen kann und auch überhaupt nicht bereit ist anzunehmen. Es gruselt mich jedesmal wenn ich so etwas auch z.B. in Fussgängerzonen mitbekomme… Es fehl soviel von der agape Liebe, sich auf den einzelnen Menschen einzulassen und ihm Zeit und Geduld für seinen Weg zu geben. In totaler Annahme, so wie er jetzt ist. Jesus hat es nicht anders gemacht.
    Sei lieb gegrüßt von mir.

  2. Ich predige das immer und immer wieder gerne: Das Evangelium ist eine gute Nachricht. Eine gute Nachricht hat keine schlechten Seiten. Diese gute Nachricht gilt es zu verkündigen auf allen von Julia genannten Ebenen und mit viel Kreativität und Ausdauer. Aber immer ohne Haken und Ösen.
    Leider trägt der Glaube an ein teils verkorkstes Gottesbild vielerorts dazu bei, dass man Good News mit Haken und Ösen predigt. Ich selbst tat es viel zu lange. Mit einer massiven Krise kam das Verständnis für Gnade endlich auch im Herzen an. Damit kam die Freiheit und Weite, vor allem eine neue Leidenschaft für Jesus und der Mut, Bücher nicht immer nur aus dem Regal derselben Ecke zu lesen. Nochmal entscheidend weiter kam ich, als ich neben der Gnade für mich auch entschieden habe, dass Wahrheit predigen nicht zuerst bedeutet, die Bibel vermeintlich richtig zu deuten. Jesus sagt und ist die(se) Wahrheit, die ich seitdem vermehrt predige: „Wer mich sieht, der sieht den Vater!“- Und selbstverständlich kann diese Wahrheit in Person nur liebhaben. – Das hat weitreichende Konsequenzen. Plötzlich sind Menschen berührt, weil nach der Predigt über DEN voller Gnade und Wahrheit kein Haken mehr kommt, der mit ABER!!! beginnt, sondern eine Umarmung eines Gottes, der im und am Kreuz mit ihnen leidet..

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