„Wir sind in einer anderen Welt aufgewacht“, sagt Außenministerin Annalena Baerbock. „Eine Zeitenwende“, sagt Bundeskanzler Olaf Scholz. Seit reguläre russische Truppen letzte Woche die Grenzen der Ukraine überschritten haben und der russische Präsident Putin dem Land die Staatlichkeit abgesprochen hat, schlingert mein bisheriges Gefühl für die Welt einer unsicheren Zukunft entgegen, während mein Alltag unverändert weiterläuft – im Gegensatz zum Alltag von 44 Millionen Menschen in der Ukraine.
Wir erleben den ersten Angriffskrieg mitten im digital, politisch und wirtschaftlich hochvernetzten Europa. Wie schon bei anderen militärischen Konflikten in der Vergangenheit bin ich medial einer Fülle von Bildern, Analysen und persönlichen Geschichten ausgesetzt – im Fernsehen, in den Zeitungen, in sozialen Medien. Aber ich kann nicht wegsehen, selbst wenn ich wollte, denn ich bin zu nah dran. Zu nah dran am Unheil, das Putin ins Werk gesetzt hat. Zu nah dran an seiner Drohung, notfalls mitten in Europa Atomwaffen einzusetzen. Zu nah dran, um nicht wissen zu müssen – und nah genug, um mich ohnmächtig zu fühlen.
Zu viel Wissen, zu wenig Macht. Mir ist klar: Meine Gefühle sind nichts im Vergleich zu dem, was 44 Millionen Menschen keine zwei Flugstunden östlich von hier gerade durchmachen. Und ich ringe mit mir selbst: Darf ich jetzt überhaupt auf mich selbst sehen? Darf ich Alltäglichkeit und Sorglosigkeit weiter leben? Ich möchte angemessen und passend auf die neue Welt reagieren, in der wir da aufgewacht sind. Aber ich habe keine Ahnung, was „angemessen“ und „passend“ sein soll: Mein Facebook-Profilfoto blau-gelb einfärben? Morgens vor dem Aufstehen die Nachrichtenportale auf dem Smartphone checken? Mit kleinem Mut und ohne großen Optimismus für Frieden beten?
Zu viel Wissen, zu wenig Macht – jede Wette, dass es dir als Leserin oder Leser dieses Textes ähnlich geht. Es tut gut zu wissen, dass ich nicht alleine bin mit meiner Ohnmacht und meiner Überforderung, mit dem Wissen um die große Tragödie und der gleichzeitigen Ungestörtheit meines eigenen, kleinen Alltags.
Vorschlag: Teilen wir, für welche Gewissheiten und Ankerpunkte wir in all dem dankbar sind! Hier sind meine:
- Ich bin dankbar, dass Gott diese Welt immer noch in seiner Hand hält. Dass er garantiert, dass das Unheil nicht das letzte Wort haben wird (auch wenn ich nicht verstehe, wie er Menschen so viel Freiheit lassen kann, es anzurichten).
- Ich bin dankbar für führende Politikerinnen und Politiker, die vermutlich nicht weniger um Anpassung an eine andere Welt ringen als ich – und die trotzdem einen guten Job machen.
- Ich bin dankbar, dass unsere Gesellschaft im Angesicht des Unheils bereit dazu ist, Prioritäten neu zu sortieren, Demokratie wehrhaft zu verteidigen und Flüchtlingen zu helfen.
- Ich bin dankbar, dass die Länder der EU ihren latenten Streit, Zweitracht und ihre Unentschiedenheit im Angesicht der Gefahr überwinden und immer noch mit einer Stimme sprechen können.
- Ich bin dankbar, dass mein eigenes Land nach seinem eigenen Angriffs- und Vernichtungskrieg und unsäglichen Gräueltaten den Weg zu Frieden und Versöhnung gefunden hat.
- Ich bin dankbar, dass bei unzähligen Menschen hierzulande und überall in Europa als erster Reflex Solidarität und Hilfsbereitschaft wach werden.
- Ich bin dankbar, dass bei Gott das Kleine zählt und am Ende die Welt zum Besseren verändern wird: Die kleine Hoffnung. Die Hilfe im Kleinen. Das kleine Gebet.
- Ich bin dankbar, dass ich heute Abend beten kann: Herr, erbarme dich!
Woran hältst du dich fest in diesen Tagen?
Mehr über den Umgang von Christinnen und Christen mit dem Krieg in der Ukraine sowie Möglichkeiten, sich zu engagieren, findest du bei ERF – Der Sinnsender unter erf.de/ukraine.
Einige tiefergehende, grundsätzliche Gedanken zu Krieg und Frieden aus christlicher Sicht findest du auch in der jüngsten Folge „Krieg und Frieden“ des Podcasts „Wegfinder – Jesus folgen in einer komplexen Welt“, den ich zusammen mit Uwe Heimowski produziere.
[…] Zu viel Wissen, zu wenig Macht Ich bin zu nah dran, um nichts wissen zu müssen – und nah genug, mich ohnmächtig zu fühlen. Und jetzt? […]
Ohnmacht ja. Dankbarkeit, daß wir noch im Frieden leben, ja. Dankbarkeit für unsere führenden Politiker, nein. Dafür ist für mich zu deutlich welche Agenda inzwischen verfolgt wird. Wir haben jetzt über siebzig Jahre gesät: Ausverkauf sämtlicher christlicher Werte, immer mehr Dekadenz und Perversitaten. Ich denke wir sind jetzt im Zeitalter angekommen, wo uns Gott ernten lässt was wir gesät haben.
@Marzo: ich teile dein Narrativ vom „Untergang des christlichen Abendlandes“ nicht. Wenn du schreibst “seit 70 Jahren“, dann wären dein Ideal die 1950er Jahre – und dahin will weder die Mehrheit der Deutschen zurück noch die Mehrheit der Christen. Und ich auch nicht.
[…] Zu viel Wissen, zu wenig Macht Ich bin zu nah dran, um nichts wissen zu müssen – und nah genug, mich ohnmächtig zu fühlen. Und jetzt? […]
Es geht nicht darum, wer was will. Es geht um das Fortschreiten des Ratschlusses Gottes mit der verkommenen und gottlos gewordenen Menschheit. Mit aller Macht und Kraft haben die „Kirchen“ und die ach so aufgeklärten Weltmenschen seit Jahrhunderten, vornehmlich seit der französischen Revolution alles unternommen, die Ehre Gottes, die Ehrfurcht vor Gott und Seiner Schöpfung auszuhöhlen, zu relativieren, zu verneinen und in unseren letzten Jahrzehnten zu zerstören und aktiv zu bekämpfen. Denn nichts anderes geschieht in unseren Tagen in „Kirche“, Politik, Wirtschaft und „Gesellschaft“. Wir erleben den rasenten Abfall und Zerfall sämtlicher christlicher Fundamente – durch die Erhöhung des Menschen als Gott und des Mammon als sein hohen Priester. Das ist der Ausfluss gottlosen Liberalismuses und Humanismuses.
Egal, was Menschen sich für Idiologien ausdenken, welche Gedankenakrobatik sie auch immer veranstalten; wenn die Ehrfurcht und Liebe zu dem Dreieinigen HerrGott nicht über Allem steht, wird jede noch so gut gemeinte Vorgehensweise des Menschen immer in einer totalen Katastrophe enden; ein Blick in die Geschichte der Menschheit bestätigt dies ausnahmslos; insbesondere die Geschichte Israels bildet genau dies ab.
Es wäre sehr schön, bei all dem Elend dieser Welt eben nicht weltlich parteiisch zu sein. Während gegenwärtig ca. 20 Kriege geführt werden, findet auch hier nur der Russland-Ukraine-Konflikt mit einer eindeutigen Wertung in der gewollten Wahrnehmung statt. Die gesamte Gemeinde Gottes dieser gegenwärtigen Welt ist aber in höchster Not. Deshalb sollten, ja müssen wir für alle Christen beten. Und für die, die sich noch auf abwegigen und irrigen Wegen anderer Religionen oder der absoluten Gottlosigkeit befinden!