Die Selbstsicherheitsfalle

Schnelle Entscheidungen treffen, Lösungen für komplexe Probleme erarbeiten, Mitarbeitern in Orientierung vermitteln – Leiter sind ständig herausgefordert, Unsicherheit in Sicherheit zu verwandeln.
Da ist die Zukunft der Branche ungewiss – aber Leiter müssen trotzdem planen. Da ist die Situation einer Kirchengemeinde völlig unübersichtlich – aber Leiter müssen trotzdem Prioritäten setzen. Da sind die Ursachen der jüngsten Softwareprobleme noch ungeklärt – aber Leiter müssen trotzdem in ihrem Team kommunizieren, wie weitergearbeitet werden soll. Leiter müssen Unsicherheit in Sicherheit verwandeln, jeden Tag.
Das kann dazu führen, sich manchmal voreilig ein Urteil zu bilden. Oder völlig überhastet zu reagieren. Sich als Leiter selbst zu schnell zu sicher zu sein, alles durchschaut, verstanden und durchdacht zu haben. Und dann gewinnt nicht die beste Entscheidung oder Lösung, sondern eben nur die, die sich der Leiter in den Kopf gesetzt hat. Mit fatalen Folgen für die Mitarbeiter und die Organisation, für die der Leiter verantwortlich ist.
Ted Cadsby erläutert in einem Beitrag im Harvard Business Review („Why being certain means being wrong„) die Ursachen solcher fataler Selbstsicherheit. Er sagt:

„It is typically more important for us to feel right, than to be right

Und vergleicht das Entstehen einer voreiligen Selbstsicherheit bei Leitungsentscheidungen mit der Befruchtung einer menschlichen Eizelle: So wie die Eizelle nur eine von sehr vielen männlichen Spermien zur Befruchtung hereinlässt und danach für weitere Spermien „abgeriegelt“ ist, verschließt sich unser menschlicher Verstand für weitere Lösungsmodelle, nachdem wir erste plausible Modell meinen gefunden zu haben.
Wenn dazu noch – wie bei Leitern oft üblich – Zeitdruck und eine herausgehobene, isolierte Position kommen, ist die vorschnelle Selbstsicherheit fast vorprogrammiert. Man hat das Gefühl, Recht zu haben, und lässt weitere Meinungen, Lösungsvorschläge und Optionen nicht mehr wirklich zu. In einer einfachen Umgebung mit einfachen Problemen liegt man mit diesem Gefühl vielleicht noch richtig und hat auch wirklich Recht. Aber in komplexen Situationen stimmt das ziemlich sicher nicht mehr – nur bemerkt man gar nicht, dass man die Situation eben nicht vollständig überschaut und möglicherweise bessere Optionen aus einer vorschnellen Selbstsicherheit heraus ausblendet.
Wie kann man sich als Leiter davor schützen?
Ted Cadsby empfiehlt, eigene Erkenntnisse und Einschätzungen in der Phase Entscheidungsfindung nur als „vorläufige Wahrheit“ (provisional truth) anzusehen. Das bedeutet: Es könnte bessere Lösungen geben. Andere könnten eine bessere Idee haben. Ich könnte mich irren.
Natürlich muss ein Leiter trotz dieser empfundenen Unsicherheit irgendwann mutig entscheiden, klare Orientierung geben, geradlinig kommunizieren (niemand möchte als Mitarbeiter einen dauerhaft wankelmütigen und unsicheren Chef haben!). Aber bis dahin schadet es nicht, sich die Gefahr einer vorschnellen Selbstsicherheit klar zu machen. Und manche Entscheidungen vielleicht bewusst ein wenig langsamer und zuhörender zu treffen, als man es von Haus aus tun würde.

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